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*
Die
Entstehung der Oper,
Ein Vortrag
gehalten am 21. Februar 1872
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von
H. M. Schletterer.
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Nördlingen,
Druck und Verlag der C. H. Beck'schen Buchhandlung.
1873.
55
BURDACH
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
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Seinem Freunde
Herrn Philipp Denzer
gewidmet.
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I
Vorwort
Im Winter 1871 fand dahier eine Reihe von Vor-
lesungen zum Besten des Invalidenfonds statt. Auch an
mich erging die ehrenvolle Aufforderung, mich an dem
edlen Unternehmen zu betheiligen. So ward die vorliegende
Arbeit veranlasst. Da ich mich lange sehr eingehend mit
dem Gegenstande meines Vortrags beschäftigt hatte, ge-
wann endlich mein Manuscript einen Umfang, der mir bei
der kurz zugemessenen Zeit von einer Stunde nur gestattete,
Fragmente daraus zu geben. Dadurch aber ging meinem
Vortrage Einheit und Uebersichtlichkeit verloren und konnte
demselben ein völliges Verständniss nicht werden. Nicht
darin edoch, weil er seiner Zeit nicht in erwünschter Weise
zur Geltung kommen konnte, liegt der Grund, der mich
veranlasst, diesen Aufsatz zu veröffentlichen, sondern in
dem Umstände, dass über die Entstehungsgeschichte der
Oper eine selbständige Monographie bisher noch nicht exi-
stirt. Alles darauf Bezügliche ist in sporadischen Journal-
artikeln oder in musikgeschichtlichen Werken weitzerstreut
- VI -
und ein klares Bild der Sache Hess sich bisher kaum oder
doch nur mit Mühe gewinnen. Möge also die Publikation
dieser Schrift nachsichtig aufgenommen und nicht als ganz
zwecklos betrachtet werden.
Augsburg, im Sommer 1873.
H. M. Schletterer.
Einige störende uud fatale Druckfehler möge der ge-
neigte Leser vor der Lektüre verbessern:
p. 14 Z. 27, p. 15 Z. 24, p. 36 Z. 20, p. 42 Z. 13, p. 43 Z. 31,
p. 44 Z. 28 lies Herkules statt Herkulus.
p. 19 Z. 27 u. 32, p. 20 Z. 28 lies Boccaccio statt Boccacio.
p. 36 Z. 6 lies Bacchus statt Bachus.
p. 39 Z. 6 lies Apennin's statt Appenin's.
p. 42 Z. 10 lies Agostino statt Agostini.
p. 52 Z. 20, p. 73 Z. 6 lies Apolline statt Appoline.
p. 68 Z. 18 lies 1574 statt 1564.
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Hochverehrte Versammlung.
Wenn Jemand, dessen Beruf and Thätigkeit vorzugsweise
doch nur im Hören besteht, sich plötzlich zum Reden aufge-
fordert sieht, und wenn nun gar ein schlichter Musikant mit
seinem Vortrage mitten zwischen gelehrte 'redegewandte Profes-
soren und Doktoren sich gestellt findet, so mag einerseits gewisse
Bangigkeit, anderseits zweifelndes Misstrauen entschuldigt werden.
Bedenke ich ferner, dass ich über einen musikalischen Gegen-
stand zu sprechen habe, über einen Gegenstand also, der von
den Männern der Wissenschaft zu den Allotrias gezählt, von
den der Bildung und Unterhaltung gewidmeten Tagesblättern, wie
männiglich bekannt, in die Branche der Odiosa und der langwei-
ligen, Niemanden interessirenden Artikel verwiesen ist, so werde
ich von Glück sagen können, wenn diese zahlreiche, streng ur-
theilende Versammlung beim Verlassen des Saales nicht laut oder
leise denkt: „Spielmann, bleib* bei deiner Fiedel/'
Was ich soeben gesagt, dürfte Manchem paradox erscheinen.
Wie, eine Kunst und ihre Pflege sollte von Förderern ernster
Studien als Spielerei und überflüssig angesehen werden, von der
schon Plutarch sagt; „Wer sich mit Eifer derjenigen Art von
Musik widmet, welche eine den Geist bildende und erziehende
Kraft hat und in der Jugend die nöthige Anleitung dazu erhält,
der wird das Schöne loben und bewundern, das Gegentheil ver-
werfen, in der Musik, wie in andern Dingen. Ein solcher Mensch
wird jeder unedlen Handlung ferne bleiben und der grösste Nutzen,
den er aus der Musik zieht, wird der sein, dass er zu seinem
und des Vaterlandes Besten sich keine unharmonische Rede und
That erlaubt, sondern immer und überall Anstand und Mässigung
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bewahrt."*) In Wahrheit aber erscheinen gerade diejenigen, welche
die vom Preise der Musik erfüllten Schriftsteller Griechenlands
und Eoms eifrigst im Munde führen, nicht selten als die hart-
näckigsten nnd verknöchertsten Gegner der Tonkunst und ihrer
Uebung. Ich behaupte nicht zu viel, wenn ich sage, dass die
Musik, die im Alterthume und noch im Mittelalter als eines der
vorzfigiifhstfca' Bfldüitgs&nittel galt, in unsern Tagen kaum mehr
das •fünfte *fiad* am? Wagen der öffentlichen Erziehung und Schul-
/. WldujigMsts*A3i$ vteltfo «öserer Anstalten ist sie bereits völlig
Vpijwjmtj vyi ^$gßn/«ajif # .fcin solches Minimum von Zeit, Auf-
merksamkeit und Achtung beschränkt, ihrer Pflege, dem Drange
nach höherer Ausbildung in ihr, sind so unübersteigliche Schranken
und hemmende Schwierigkeiten gesetzt, dass es fast besser wäre,
endlich auf sie als Lehrgegenstand vollständig zu verzichten, als
sie in herkömmlicher Weise auf den Lehrplänen ferner nur noch
fortvegetiren zu lassen.
Man hört es häufig behaupten, dass die Musik in unserm
Jahrhundert die populärste und einflussreichste unter ben Künsten
geworden, dass sie diejenige Kunst sei, die das Geistesleben ihrer
Zeit am vollkommensten auszusprechen im Stande wäre, den tief-
sten Inhalt habe, den mächtigsten Einfluss auszuüben, die mannig-
faltigsten Wirkungen hervorzubringen vermöge. Ueberblickt man
die Summe dessen, was durch Tonsetzer,' Instrumentenmacher und
den Buchhandel täglich auf musikalischem Gebiete produzirt wird,
überzeugt man sich von der ganz immensen Ausbreitung, welche
das Musiktreiben in der Gegenwart gewonnen, so muss allerdings
zugegeben werden, dass sie als weitverbreitetste Kunst alle ihre
Schwestern überflügelt hat.
Dennoch ist alle Kunstpflege bisher fast nur eine prak-
tische geblieben. Musikalisches Wissen und Urtheil liegen heute,
wie je, im Argen; musikalische Bücher und Zeitschriften kauft
*) Und wie treffend und ganz in ähnlichem Sinne spricht sich
Shakespeare im „Kaufmann von Venedig" über die Musik und ihre
Uebung aus:
„Der Mann, der nicht Musik hat in ihm seihst,
Den nicht der Wohllaut süsser Töne rührt,
Taugt zu Verrath, Betrug und Räuberei,
Die Kegung seines Geist's ist dumpf wie Nacht,
Und seine Neigung schwarz, wie Höllenpfuhl,
Nie traue solchem Mann."
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und liest das grössere Publikum nicht; Gelegenheiten, wie die
gegenwärtige, durch einen Vortrag auf einen zahlreichen Zuhörer-
kreis wirken zu können, bieten sich allzu selten. Um auf musi-
kalischem Gebiete Einfluss auf die Allgemeinheit zu gewinnen,
gibt es nur Einen Weg und dieser führt durch solche Journale
und Tagesblätter, die allenthalben und namentlich in den Familien
gelesen werden. Nun aber durchblättere man selbst solche Zeit-
schriften, die vorgeben, banalster Zeittödtung nicht ausschliesslich
gewidmet zu sein, die behaupten, ihren Leserkreis zugleich bilden
und belehren zu wollen (z. B. Gartenlaube, Daheim, Ueber Land und
Meer und zahlreiche andere weitverbreitete sog. Familienjournale),
ob man in vielen Jahrgängen auch nur Einen musikalischen Auf-
satz findet? Jeder Branche menschlichen Wissens, jedem Interesse
bereitwilligst geöffnet, erscheinen sie nur der Musik hermetisch
verschlossen. Schlimmere Gegner der Kunst als die Gelehrten,
welchen die erst in neuerer Zeit zu höherer Entwicklung ge-
langte Musikwissenschaft noch zu jung erscheint, um sie als
ebenbürtige Schwester anderer Wissenschaften gelten zu lassen,
sind die bei einer Ueberlast von, in ihrer regelmässigen und
erschöpfenden Wiederkehr abstumpfenden Geschäften so häufig
verbitterten Redakteure. Die Schöpfungen der Tonkunst wollen,
wenn auch kritisch beurtheilt, doch in erster Linie frisch erfasst,
lebendig empfunden, sogar unter Umständen tief gefühlt sein;
das sind Forderungen, deren Erfüllung selbst grundgescheidten,
von der Wichtigkeit ihres Berufs und dem Einflüsse ihrer Stellung
innerlichst durchdrungenen, wenn auch sonst liberal denkenden
Männern nicht immer möglich ist So öffnet sich denn einem
musikalischen Artikel stets nur aus besonderer Vergünstigung hie
und da eine Spalte eines Blattes. Wie die aus dem Paradiese
verbannte Peri von einer Himmelspforte zur andern schwebt,
überall vergebens um Einlass bittend, so schweben musikalische
Artikel von einem Redaktionslokal zum andern, ehe sie endlich
im Papierkorb eine sanfte, letzte Ruhestätte finden.
Unter solchen Verhältnissen muss die sich heute bietende
Gelegenheit, über einen musikalischen Gegenstand vor einer so
auserlesenen Versammlung sprechen zu dürfen, mir ebenso ehren-
voll, als hoch willkommen erscheinen. Möge mein Bestreben, die
geehrten Anwesenden für mein Thema zu interessiren, nur auch
von wünschenswertem Erfolge begleitet sein.
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Die Musik, wie sie uns in ihren heutigen Resultaten
vorliegt, ist die jüngste der Künste. Diese Behauptung
dürfte zu begründen sein. Skulpturen indischer Tempel-
reste, Wandgemälde, im Innern ägyptischer Pyramiden auf-
gefunden, Werke der Architektur und Malerei also, deren
Entstehung weit über die mosaische Zeitrechnung zurück-
reicht, liefern den Ausweis, dass die Tonkunst vor Jahr-
tausenden, wie heute, Festen höheren Glanz, gottesdienst-
lichen Handlungen tiefere Wirkung, häuslichen Kreisen an-
regende Beschäftigung, der Klage innerlicheren Ausdruck, der
Lust anmuthigere Belebung zu geben wusste. Tanz, Gesang
und Instrumentenspiel waren von jeher die heitern, theil-
nehmenden Gesellschafter des Menschengeschlechts. Nicht
umsonst lässt die Mythe die Musik den Himmlischen ent-
stammen, von den Göttern den Sterblichen als schönste und
edelste Gabe zugebracht werden. Die ältesten Dichter er-
zählen von der liebevollen Pflege, die sie stets fand, von
der begeisterten Verehrung, die man ihr von Anfang an
zollte, von den ausserordentlichen Wirkungen, die sie her-
vorbrachte. So wenig wir auch Positives über die musika-
lische Kunst der alten Welt wissen, ihre Ausbildung kann
keine geringe gewesen sein.
Man erinnere sich an die Schilderungen des musika-
lischen Tempeldienstes zu Zeiten David's und Salomo's, die
uns in den Büchern der Chronika erhalten sind, an die
Bedeutung der Musik im Kultus der Aegypter, Griechen und
Römer, an das, was Schriftsteller dieser Völker von den
Leistungen gleichzeitiger Sänger und Virtuosen berichten.
Aber was auch an Nachrichten über diesen Gegenstand auf
uns gekommen sein mag, es bleibt im Grunde leerer Schall.
Wir stehen bewundernd selbst vor den uns in Ruinen
und Fragmenten vererbten Werken der Architektur, Pla-
stik, Malerei und Poesie des Alterthums. Unsere Phan-
tasie und die archäologische Kunst ermöglichen es, ge-
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stützt auf schriftliche Mittheilungen, bildliche Darstellun-
gen aus der Glanzzeit Athens und Roms, die an Genauig-
keit kaum etwas zu wünschen übrig lassen dürften, rekon-
struktiv wieder herzustellen. Die Akropolis und das Kapitol
mit all ihren Prachtbauten vermögen wir so vor unserm
Auge auf 8 Neue erstehen zu lassen. Wie ganz anders aber
finden wir uns der Musik des Alterthums gegenüber?
Wohl mögen sich in Volks- und Kirchenweisen Reste
von Melodien aus frühester Zeit bis auf unsere Tage ver-
erbt haben. Nachweisbar sind sie nicht. Keine Kunst ist
schwieriger zu schildern als die Musik. Worte vermögen
uns ihre Bedeutung, ihren Inhalt, ihre Wirkungen darzu-
legen, zum Verständniss ihres Wesens bedürfen wir durch-
aus des durch nichts zu ersetzenden lebendigen Tones. Da
nun die Alten keine eigentliche Tonschrift besassen, so feh-
len uns für ihre Musik thatsächliche Anhaltspunkte, und
die Geschichte unserer modernen musikalischen Kunst be-
ginnt daher erst mit der Erfindung einer Tonschrift im
6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Man verlegt gewöhn-
lich in die Zeit Papst Gregorys, des Grossen, (590 — 604)
die Feststellung und Einführung der sog. Neumenschrift,
aus der sich allmählig die gegenwärtig gebräuchliche Ton-
schrift als eigentlichste Weltsprache entwickelt hat. So un-
vollkommen die erste Notationsweise auch war, so wichtig
erwies sie sich doch für die Fixirung kurzer Melodieformen.
Jahrhunderte gingen hin, ehe sie sich so weit vervollkomm-
nete, dass sie den Zwecken der Kunst, der Tonsetzer zu
genügen vermochte.
Durch 12 Jahrhunderte hindurch finden wir alle Künste,
also auch die Musik vorzugsweise im Dienste der Kirche,
die, befürchtend, dass durch ihre profane Verwendung die
Erinnerung an eine grosse, aber in verpöntem Heidenthume
verbrachte Vorzeit allzu lebendig erhalten werden könnte,
gegen jede nichtkirchliche Anwendung derselben eiferte und
- 6 -
besonders alle Beste uralten Volksgesanges zu vertilgen
strebte. So verloren sich allmählig alle den Völkern ureigen-
thümlichen Gesänge fast, bis auf die letzte Spur. Ein neuer
Glaube, eine neue Gesittung, neue soziale Verhältnisse, her-
vorgerufen zumeist durch eine wunderbare Vermischung der
Racen und die Veränderung ihrer ursprünglichen Stamm-
sitze, mussten erst wieder neue Sprachen, eine neue Poesie,
einen neuen Volksgesang erzeugen und emporblühen lassen.
Die ältesten auf uns gekommenen Reste weltlichen Gesanges
— denn der geistliche ward durch Gregor für alle Zeiten
normirt — sind französischen und niederländischen Ur-
sprungs. In Flandern, Brabant und Frankreich, besonders
aber an den kunstsinnigen Höfen der Könige von Aragon,
Castilien und Navarra, der Grafen von Barcelona, Toulouse,
Poitou, Artois, St. Gilles und Provence, des Dauphin Robert
von Auvergne, der Markgrafen von Montferrat, Este und
Malaspina fand das weltliche Lied, der Chanson, durch
Menetriers (fahrende Spielleute) und Troubadours frühzeitige
Pflege und Verbreitung. Die Poesien der letzteren — unter
den heute noch aufzuzählenden nahezu 400 Troubadours
finden sich Namen von Rittern, Grafen, Bischöfen, Fürsten,
Königen und vielen edlen Frauen, sowie die hochberühmter
Dichter und Tonkünstler*) — gehören ausnahmslos dem
Gebiete der lyrischen Dichtung an.
*) Von fürstlichen Troubadours sind zu nennen: Graf Wilhelm
IX. von Poitiers, Herzog von Aquitanien (1071—1127), der älteste be-
kannte, halb volks-, halb kunstmassige Troubadour. („Er war einer der
artigsten Männer der Welt und einer der grössten Verführer der Frauen,
ein Ritter, gut in Waffen und reich an Liebeshändeln. Er verstand
sich wohl auf Singen und Dichten und durchstreifte lange die Welt, um
Weiberherzen zu berücken.") — Elbes IL, Vizgraf von Ventadour,
„der Sänger". Prinz Jaufre Rudel von Blaya (1140—1170). Ram-
baut III., Graf von Orange (f 1173). Die Grafen von Provence aus
dem Hause Barcelona; Raimon Beyengar III, (1167— 1181), Beut
- -7 —
Kunst des Findens (artde tröbar) nannte man in der
Provence die Dichtkunst, daher trobador, trobaire, Finder,
Erfinder. Anfangs hiess jede poetische Aeusserung vers, spä-
ter Lied (canzo, Canzone, canzoneta, Canzonette). Fröhliche
Sohn Alfons II. (1196—1209) und dessen Sohn Raimon Berengar
IV. (1209 — 1245). König Richard I. „Löwenherz" (f 1199). Die
Grafen von Toulouse: Raimon IV., Raimon V., (1148—1194), Rai-
mon VII. (1222-1249). -Wilhelm VIII. v. Montpellier (1172—1204).
Robert L, Dauphin v. Auvergne (1169—1234). Barral, Vizgraf v.
Marseille. Wilhelm IV. vonBaux, Prinz von Orange (im Albingenser-
kriege zu Avignon lebendig geschunden. 1185—1218). Die Könige von
Aragon: Alfons I. (f 1134), Alfons IL (1162—1196), Peter II.
(1196—1213), Peter III. (1276—1285), Thibaut, König von Navarra.
Albert, Markgraf von Malaspina u. s. w. — Von edlen Frauen kennen
wir Kamen und Dichtungen von: Eleonora, Gattin König Ludwigs VIII.
von Frankreich, 1151 geschieden, 1152 wieder an Herzog Heinrich IL
der Normandie und König von England vermählt, Enkelin Wilhelm IX.
von Poitiers und Mutter des Richard Löwenherz und des Grafen Jaufre
von Bretagne. Beatrix, Gräfin von Die und Poitiers (um 1173). Er-
mengarde, Vizgräfin von Narbonne (1143—1192». Clara von Anduse.
Maria v. Ventadour. Azalais von Porcairagues. Die Damen: von
Castelloza, Iseus v. Capnion, Almuc v. Chateauneuf, Bierris v. Ro-
mans u. s. w. — Andere berühmte Troubadours waren: Der Jongleur
Cercamon und sein Schüler, der Spötter und Frauenhasser Marca-
brunn, „berühmt durch die Welt und gefürchtet wegen seiner Zunge"
(1140—1185). Chiraudet „der Rothe". Bernart v. Ventadour (1146
—1195). Peire (1120—1215) und Peire Rogier, Kanonikus von
Clermont (1160—1180, beide aus Auvergne). Guillem von Cabestaing
(um 1190), dessen romantische Liebesgeschichte, wie die des Prinzen
Jaufre Rudel, Stoff zu den schönsten und rührendsten Novellen gab.
Peire Raimon v. Toulouse, „der Alte" (1150—1200), Arnaut von
Marueil. Guiraut von Borneil, „der Meister" (1175 — 1220). Der Son-
(Jerling Peire Vidal aus Toulouse, Prahler und Narr und doch Ver-
fasser vieler zarter, männlicher und hochherziger Lieder. Bertran de
Born, Vizgraf v. Perigord (blüthe 1180—1195) „der Sängerin Waffen"
und sein gleichnamiger Sohn. Mit dem altern Bertran beginnt die Reihe
der Kreuzzugsliederdichter, unter denen Gauraudan „der Alte", Pons
vonCapdueil, Rambaut von Vagueiras, Peiral, Elias Cairel, Gold-
arbeiter und Wappenzeichner aus Sarlat in Perigord, Aimeric v. Be-
- 8 -
Gesänge waren die Soulas, klagende die Lais, Morgenlieder
die Albas, Abendständchen die Serenas. Sonet hiess ein
mit Instrumenten, Baiada ein mit Tanz begleitetes Lied.
Hauptgegenstand der art de tröbar war und blieb die
Liebe und die Verherrlichung der Geliebten; darnach be-
stehen die Poesien der Troubadours aus Kose- und Liebes-
liedern, aus Streit- und Wettgesängen, aus'Küge- und Lob-
liedern, aus Serenaden und Romanzen.*) Ihr Gesang gleicht
lenoi, Guillem v. Saint Didier, Folguet v. Romans, der Templer,
Raimon .Gaucelm v. Beziers die wichtigsten sind. Der kecke und
witzige Mönch v. Montaudon. Arnaut Daniel, Edelmann aus
Ribeyrac in Perigord, „der grosse Meister der Liebe", Erfinder der Ses-
tine. Der Schlemmer Gaucelm Faidit (1190—1240). Blacatz und
sein Sohn Blacasset. Savaric v. Mauleon (1200— 1230). Ucv. l'Es-
cure „der Prahler" und Uc v. Saint Cyr. Chatelain de Coucy aus
Vermandois. Aimeric v. Pequilain, „der Ketzer" (1205—1270) u. s. w.
— Wie es kühne und unerschrockene Dichter energischer Rügelieder
gibt, unversöhnliche Pfaffenfeinde — Peire Kardinal, den Schneider
Guillem Figueiras, Guillem v. Montagnagout, Folquet v. Lunel,
Bertran v. Alamanon, Bertran Carbonel — so finden wir auch
den berüchtigten Ketzerverfolger Folquet v. Marseille, Bischof v. Tou-
louse (1180—1231) und seinen Gesinnungsgenossen Perdigon^aus Es-
pernon, blutige Gegner der Albingenser, unter den Troubadours. Von
italienischen, hieher gehörigen Namen seien hier noch genannt: Sordel
aus Mantua (1225—1250), Bonifacio Calvo und Lanfranc Cigala
aus Genua, Bartolome Zorgi aus Venedig (1250—^270). Der letzte
bedeutende Troubadour ist der sinnige, gemüth volle Guiraut Riquier
aus Narbonne (1250—1294), der vergebens alle Kraft daransetzte , eine
scheidende Literatur vom Untergange zu retten.
*) Man unterscheidet folgende > von den Troubadours erfundene
und benützte poetische Formen:
A. Gedichte, in Strophen abgetheilt, meist mit einem
„Geleit" oder zweien (Dedication, Tornados) schliessend:
1. Vers, 2. Chanson, Chansoneta (mieia chcmso, kleines Lied),
3. Son, Sonet (nicht mit dem italienischen Sonnett zu verwechseln,
4. Cobla (Couplet, Strophe), 5. Flcmh (Klaglied >, 6. Tenson, (Partures,
dialogisirte Gedichte, desshalb auch Jeux-partis u. Tomeyamen, Tur-
nier), 7. Svrvente8 (Rügelieder, Satiren, Pasquille), 8. Sextöne (6-stroph.
- 9 -
dem Nachtigallenliede, das bald in langgezogenen Tönen der
Sehnsucht und des Verlangens, bald im heitern Schmettern
vollster Lebenslust schattige Gebüsche und grüne Haine er-
füllt, der aber auch, wenn es galt, sich zum dichterischen
Organ der öffentlichen Meinung erheben konnte; ja sfts Rüge-
liederdichter wurden die Troubadours sogar die Träger und
Lenker derselben. Ihr Freimuth und feuriger Hass richtete
sich vornehmlich gegen Born und das Verderbniss der Geist-
lichkeit. So schwangen sie, die einstigen Sänger der Liebe,
sich zu Herolden der Freiheit und Ehre, zu einflussreichen
Vorkämpfern der Reformation auf.
Die proven<jaKsche oder, wie man sie noch nannte,
die limosinische Sprache, in Folge natürlicher Anmuth und
Feinheit frühe schon poetisch verwendbar, — denn schon
zu K. Karl's Zeiten, mehr aber noch im 9. Jahrhundert,
erreichte sie eine gewisse Ausbildung und Vollkommenheit,
— konnte sich unter der milden, durch feste Gesetze ge-
regelten Herrschaft der Burgunden und Westgothen, getra-
gen von den Segnungen eines tiefen, fast ungestörten Frie-
dens — glich ja doch die Provence, bis die Albingenser-
kriege das Land zu einer Stätte aller Greuel machten, einem
ruhig und heiter blühenden Eilande inmitten sturmerregten
Meeres — und als Idiom eines lebensfrohen, geistig auf-
geweckten Volkes aufs günstigste entwickeln. Ihre höchste
Blüthe, mit der schönen Ausbildung des Bitterthums Hand
Lieder, jede Strophe aus 6 Versen bestehend), 9. Descort (unregelmäs-
sige Gedichte), 10. Pastoretas (dialogisirte Eklogen), 11. Bren-Döble (?),
12. Gedichte mit Refrain: Alba, Serena, Retroensa, Baiada (Bonde),
13. Dichtungen mit Commentar: Comjatz (Abschiedslieder), Devinalhs
(Räthsel), Escondigz (zur Rechtfertigung), Estampida (nach bekannten
Melodien gesungen), Presicansa, Tomeys, Garlambays, Carros (Kampf-
und Turnierlieder).
B. Gedichte, ohne strophische Eintheilung:
1. Episteln, 2. Novae (Novellen), 3. Romane.
- 10 —
in Hand gehend, erreichte sie in der Periode der Kreuz-
züge; sie neigt sich dem Verwelken während der Tage der
grausamen und scheusslichen Religionskämpfe, *) in deren
Lärm endlich auch die Stimmen der Troubadours, die durch
zwei Jahrhunderte (1090—1290) so froh und laut geklun-
gen, aümählig verstummen.
Aus dem Kreise der nordfranzösischen Trouveres einen
Namen herausgreifend, nenne ich den Ada m's de laHale,
„der Buckliche von Arras u nach einem wirklichen oder ange-
dichteten körperlichen Gebrechen von Zeitgenossen genannt,
Verfasser der ältesten bekannten weltlichen Singspiele.
Adam, einer der hervorragendsten franz. Dichter, Tonsetzer
und Sänger, ward um 1240 in Arras geboren und, um die
nöthige Vorbildung für den geistlichen Stand zu erhalten, in
der Abtei Vauxcelles erzogen. Eine heftige Leidenschaft für
ein schönes Mädchen, Namens Marie, bewog ihn das Kloster
und die eingeschlagene Laufbahn, für die er ohnehin we-
nig Sinn haben mochte, zu verlassen. Er heirathete endlich
den Gegenstand seiner Wünsche, fand aber in den Armen
der jungen Frau das ersehnte und erträumte Glück nicht.
Mit liebenswürdiger Naivetät gesteht er selbst seine Enttäu-
schung ein und beklagt es, wie Liebe und Verlangen ihn mit
trügerischen Vorspiegelungen schlimm geäfft hätten. Rasch
entschlossen verliess er bald seine Gattin wieder, ging, wie
alle Franzosen, die sich trösten und zerstreuen wollen, nach
Paris und fand hier in dem Grafen von Artois, Robert II.,
*) Die schwärmerische Sekte der Albingenser oder Waldenser reicht
in ihren Anfängen bis in die Zeit P. Sylvester's I. (314—335) hinauf.
Ihr gehören einige der ältesten Dichtungen in romanischer Sprache, z. B.
la nobla leyczon (a. d. J. 1100), la barca, lo novel sermon, lo novel
confort, lo despreczi del mont, lo payre eterncd, Pavangeli de U quatre
semencz u. s. w. an, die aber, mehr Natur- als Erzeugnisse der Kunst
und vorzugsweise aus dem religiösen Bedürfhiss des Volkes hervorge-
gangen, nicht zu den Werken der eigentlichen Kunstpoesie zählen.
- 11 -
einen Freund tind Gönner, denn; „Adam wusste schöne Worte
zu erfinden, er war vollkommen im Gesänge und vermochte
Chansons zu dichten und Wechsellieder (ParturesJ und
kunstreiche Motetten zu setzen und Balladen, ich weiss
nicht, wie viele, und gerade einen solchen Mann wünschte
der Graf um sich zu haben." Adam starb 1286 in Neapel,
wohin er seinen Fürsten 1282 begleitet hatte. Man kennt
von ihm mehrere Singspiele (Jeux-parbies) : „Das Spiel von
Adam" (Li jus Adam), in welchem er in humoristischer
Weise sein eigenes Hauskreuz auf die Bühne bringt; „Das
Spiel vom Pilger" ( Jus dePelerin), „Die Laube" (La feuißee)
und „Bobin und Marion" (Jus de Robin et Marion). Letz-
teres, zuerst (1285) am Hofe zu Neapel aufgeführt, blieb
durch Jahrhunderte eines der beliebtesten Stücke der alt-
französischen Bühne.*) Die einfache Handlung dieses von elf
Personen dargestellten Singspiels ist folgende : Die schöne
Marion sitzt, ihre Heerde weidend und ein heiteres Lied
von Bobin, ihrem treuen Liebsten singend, am Raine. Junker
Aubert, vom Turnirplatz kommend, den Falken auf der
Faust, gesellt sich zu ihr. Schmeicheleien, die er ihr sagt,
bald in feurige Liebeswerbung, mit dem Versprechen reich-
sten Lohnes, übergehend, wollen bei dem hübschen Mäd-
chen nicht verfangen. Sie antwortet, sie liebe Robin, und
bittet den jungen Sieur, sie in Ruhe zu lassen. Dieser,
unbarmherzig abgewiesen, verlässt sie endlich mit der Ver-
sicherung, aus Verzweiflung über ihren Kaltsinn in's Wasser
springen zu wollen. Marion, wissend, was derartige Reden
im Munde galanter junger Herren zu bedeuten haben, ver-
fiöhnt ihn. Während er abgeht, hört man aus der Ferne
den frohen Gesang Robin's , in den Marion alsbald jubelnd
einstimmt. Er hat Aepfel für sein Mädchen gesammelt,
*) Für diese Thatsache spricht der Umstand, dass es in A^Pft
bis 1392 alljährlich m Pfingsten aufgeführt wur<}e,
— 12 —
beide halten, von ilirer bevorstehenden Hochzeit plaudernd,
ein einfaches Mahl; Marion erzählt dann von den von ihr
so tapfer zurückgewiesenen Angriffen des schmucken Rit-
ters; Robin ist entzückt von ihrer Treue; er beschliesst,
einen Spielmann zu holen und die Freunde zum Tanze,
vielleicht auch zur Hilfe, falls sie nöthig werden sollte,
einzuladen. Kaum ist er weggegangen, kehrt Junker Au-
bert zurück, seine Bewerbungen erneuernd, die aber den
Trotz des Mädchens nicht zu brechen vermögen. Robin
kommt dazu. Unter dem Vorwande, dieser habe seinen
Falken berührt, fängt der Junker Händel mit ihm an, bläut
ihn durch, dass er am Platze liegen bleibt, hebt dann das
weinende Mädchen auf sein Pferd und reitet mit ihr, unge-
achtet ihres Flehens und Sträubens, davon. Gautier, der
Spielmann, in diesem Momente auftretend, sieht, was ge-
schehen, bemüht sich, den jammernden Robin, auf dessen
Geschrei die Nachbarn herbeieilen, aufzurichten und eine
Verfolgung des Entführers zu veranlassen. Aber Marion,
deren Bitten endlich doch den Ritter gerührt haben moch- .
ten, kehrt bald wieder zurück, alles Leid verwandelt sich
in Freude, heitere Tänze und frohe Lieder beschliessen das
Spiel. Der volksthümliche Stoff ist in ihm mit vielem Ge-
schick behandelt; der Dialog, naiv und lebendig, wenn auch
nicht immer sehr säuberlich, sprudelt von ungesuchtem,
treffendem Witze.
Alle Gesänge dieser Zeit, auch die des vorstehenden
Liederspiels, sind nur einstimmig und ohne harmonische
Grundlage.*) Während nun der geistliche Gesang in festen
Normen zu erstarren drohte, der weltliche seine ersten fri-
*) In der auf der Pariser Bibliothek aufbewahrten Handschrift,
welche Adam's Liederspiele enthält, sind die Lieder (li randel Adan)
allerdings unbeholfen dreistimmig gesetzt. Doch rühren diese schwachen
Anfange harmonischer Kunst jedenfalls aus einer viel spätem Zeit, als
dem Jahre 1285 her.
-*. 13 -
sehen Blüthen trieb, waren in stillen Klöstern grübelnde
und spekulative Mönche unausgesetzt thätig, die Tonschrift
zu vervollkommnen, die musikalische Theorie zu grösserer
Klarheit zu entwickeln, die Grundsätze für harmonische Ver-
bindungen zu regeln und festzustellen. Jahrhunderte gingen
wieder hin, ehe es gelang, aus den rohesten Anfängen her-
4
auszukommen und einen zugleich der Kunstlehre entspre-
chenden und doch auch für das Ohr geniessbaren Tonsatz
herzustellen. Das Volk wollte Anmuth, Natürlichkeit und
Wohlgefälligkeit der Melodie, die musikalische Theorie ge-
fiel sich darin, die sonderbarsten, unschönsten und ver-
künsteltsten Harmoniekombinationen als mustergiltig hinzu-
stellen. Allmählig schieden sich Anschauungen und Bestre-
bungen, bis sich am Ende zwei Parteien schroff entgegen-
standen. Freunde heiterer Kunst, Volkssänger und Dilet-
tanten, die allmählig ihren Gesang mit der Laute oder
Geige begleiten lernten, — wesshalb man sie auch cantori
a liuto nannte, — entschieden sich ganz für den volks-
tümlichen melodischen Gesang; die gelehrten Musiker, die
Kunstpedanten — die cantori a libro — verloren sich in
unbegreiflicher Verbissenheit in die dunkelsten Irrgänge
kontrapunktischer und kanonischer Unmöglichkeiten.
So sehr während des früheren Mittelalters Rom die
musikalische Kunstschule Italiens, der Hort des musikali-
schen Kanons blieb, entwickelte sich zuletzt doch nicht
hier, sondern vornehmlich in den Niederlanden und da wie-
der besonders am glanzvollen Hofe der Herzoge von Bur-
gund, die Musik zu lebensfähiger Kunsthöhe.
Die Geschichte der Kunst nennt den Guillaume
Dufay aus Chimay im Hennegau, um 1370 lebend, als.
Gründer einer einflussreichen Musikschule, die durch Jean
Ockeghem um 1450 zu grösserer Vollendung gebracht,
in dessen Schüler, dem berühmten Josquin de Pres (um
1450 zu Vermand in der Picardie geboren, f 27. August
- 14 -
1521) endlich ihren hervorragendsten Vertreter fand. Jos-
quin gehört zu den merkwürdigsten Männern seiner Zeit,
die ihn als ihr Ideal bewunderte; lange stritten sich Nie-
derländer, Deutsche, Franzosen und Italiener um die Ehre,
ihn den ihrigen nennen zu dürfen. Seine Kompositionen
verdrängten in Kapelten und Privatkreisen bald Alles, was
vor ihm gesungen und geschätzt worden war. In seiner
Jugend Sängerknabe, dann Lehrer an der Kollegiatkirche
zu St. Quentin, trat er unter Papst Sixtus IV. in den päpst-
lichen Sängerchor. Von Kom kam er in die Dienste Lud-
wig's XII. von Frankreich, darauf in gleicher Eigenschaft
in die Kaiser Maximilian's I.*)
Die päpstliche Kapelle, einst der Quell alles Kunst-
lebens, die musikalische Hochschule, von der Lehre und
Unterweisung allein ausging, sah sich nun selbst genöthigt,
von ferne her solche Kräfte anzuziehen, die eine Kegenera-
tion der tiefgesunkenen musikalischen Zustände der Kirche
ermöglichten. Vom 13. — 16. Jahrhundert treffen wir zahl-
reiche Niederländer unter den päpstlichen Sängern und als
Kapellmeister an den verschiedenen Kathedralen Roms und
des übrigen Italiens.
Die letzten hochberühmten Namen niederländischer
Künstler, gleich gross als Tonsetzer, wie als Lehrer, die uns
in Italien begegnen, sind die Adrian Willaert's, Kapell-
meister an der St. Markuskirche in Venedig, und seines
Schülers und Nachfolgers Cyprian de Rore, den die
*) Vermuthungen lassen Josquin auch in Diensten des H. Herkulus I.
von Ferrara und mit seinem Schüler Heinr. Isaak (von Prag) in denen
Lorenzens „des Prächtigen" in Florenz stehen. Beide sollen Gesänge
dieses kunstfördernden Fürsten, besonders aber die bei dessen Masken-
prozessionen gesungenen Lieder (Gcmti carnascküescfü) dreistimmig, und
zwar in leichter volkstümlicher Weise, komponirt haben. Isaak wurde
147ö Kapellmeister an der Kirche S. Giovanni in Florenz; A. Politianus
preist ihn unter dem Kamen Arrhigius.
- 15 -
Italiener in ekstatischer Verehrung den Namen: ü divkio
beilegten.*)
Selbst Palestrina ,**) durch den die kirchliche Ton-
kunst ihre Wiederbelebung und Neugestaltung, aber auch
ihre höchste Vollendung fand, war ein Schüler Claude
Goudimels aus der Franche - Comte , der, ein Hugenotte,
am 24. August 1572 bei dem bekannten fluchwürdigen Ge-
metzel des Bartholomäustages in Lyon ermordet wurde.
Ich habe es versucht, im Vorstehenden bis zu den
Tagen Palestrina's einen flüchtigen Abriss der Entwicklung
der Musik zu geben. Es liegt mir nun ob, noch insbeson-
dere der Ausbildung des weltlichen Gesanges zu folgen.
Leider kann, wie ich bereits bemerkte, Alles, was man über
Musik zu sagen vermag, nur sehr unvollkommen bleiben,
*) A. Willaert, Stifter der venetianischen Tonschule, um 1490
in Brügge geboren, Schüler des Jean Mouton, kam 1516 nach Born, dann
in die Dienste E. Ludwig's IL von Böhmen und Ungarn, der 1526 in
der Schlacht bei Mohacz fiel. Ende 1527 »trat er in seine Funktionen in
Venedig ein, in welcher Stadt er Ausgangs September 1563 auch starb.
Er unterrichtete ausser dem nachgenannten G. de Bore die unter den
Komponisten des 16. Jahrh. hervorragenden Nie. Yicentino, Cost. Porta,
Franz. della Viola und den berühmten Theoretiker Zarlino.
C. de Bore, 1516 in Mecheln geboren, Kapellmeister des H.
Herkulus n. von Ferrara, 1559 zweiter, nach WÜlaert's Tode erster Ka-
pellmeister an St. Markus; starb 1565, nachdem er kurz vorher in die
Dienste des H. Ottavio Farnese von Parma getreten war.
**) Giovanni Pierluigi Palestrina oder Giovanni Pietro
Aloisio da Palestrina (il Prenestino, Praenestinus, Musicae prineeps
genannt), geboren 1524 in Palestrina, studirte seit 1540 in Born, ward
1551 Lehrer der Singknaben an der Kapelle P.. Julius' II., 1555 päpst-
licher Sänger, aber noch im selben Jahre von P. Paul IV. wieder ent-
lassen; dann Kapellmeister von S. Giovanni in Laterano, 1561 an Sta.
Maria Maggiore, 1565 Komponist der päpstlichen Kapelle; 1571 über-
nahm er seine frühere SteUe an der Capella Julia wieder, wurde aber
jetzt zugleich Musikdirektor an der Gongregation des Oratoriums und
Leiter der Musikschule des Giov. Mar. Nanini. Er starb 2. Febr. 1594.
- 16 -
so lange nicht zum Worte der klingende Ton tritt. Gerne
hätte ich daher im Vereine mit kunstgebildeten Freunden
meinen Vortrag, der nun so zu sagen farblos bleibt, durch
geeignete Musikstücke illustrirt, hätte dies die mir vergönnte
äusserst beschränkte Zeit auch nur entfernt gestattet. Wenn
daher diesem Abend die beste und lebendigste Interpretation
fehlt, so liegt diesem Mangel nicht ein Versehen meiner-
seits, sondern einzig die Ungunst des Moments zu Grunde. *)
Den furchtbaren politischen Stürmen des beginnenden
Mittelalters und den verheerenden Umwalzungeu, Zügen und
Kämpfen, welche die Periode der Völkerwanderung erfüllen,
erlag die Kultur der alten Welt; die entnervte Civilisation
Rom's sank beim Andränge roher Naturkraft zu Boden.
Die prächtigsten Städte Griechenlands, Italiens und Gal-
liens waren zerstört und verödet, die Göttertempel, die
Cäsarenpaläste lagen in Ruinen; was die bildende Kunst
Herrliches und Bewundernswürdiges geschaffen, schien völ-
liger Vernichtung verfallen; von vielen Orten, blühend einst,
herrlich und volkreich, durch Jahrhunderte Sitze gelehrten
Wissens, Pflegestätten der Kunst, waren nur öde Trümmer-
haufen noch übrig. Kaum vermochten unter dem Blei-
gewichte barbarischer Gewalt die niedergetretenen und fast
ausgetilgten Völker der alten Welt verkümmerte Reste
einstiger Kultur zu bewahren und in eine bessere Zeit
hinüber zu retten. Am tiefsten sank die ewige Roma, die
letzte Trägerin antiker Bildung und so lange die Tyrannin
des Erdkreises. Durch Jahrhunderte begegnen wir in ihr
*) Sehr schätzbare musikalische Belege für diesen Aufsatz bieten:
1. Winterfeld: J. Gabrieli und sein Zeitalter. Berl. 1834.
2. Allgemeine musikalische Zeitung. Bd. 40. L. 1838.
3. Kiesewetter: Schicksale und Beschaffenheit des weltlichen
Gesangs. L. 1841.
4. La primo opera m musica, Euridice, poesia di 0. Rir
fiuccmi, musica di J. Pen. Firenze, G. G. Guidi.
- 1» -
keinem Gelehrten, keinem Geschichtschreiber, keinem Künst-
ler mehr. Dennoch entschwand den niedergedrückten, ent-
arteten Bewohnern Italiens die Erinnerung einstiger Grösse
nicht völlig und sobald ihnen inmitten von Krieg und
Verderben ein friedliches Aufathmen wieder möglich war,
wanden sich auch mit rührender Liebe ihre Sinne und
Gedanken der Vergangenheit immer wieder zu.*) Mit
Fleis und Sorgfalt strebte man, noch Vorhandenes zu sam-
meln, nicht ganz Vernichtetes vor völligem Untergange zu
bewahren. Namentlich waren es die Reste der Literatur
Griechenlands und Roms, welche die allgemeine Aufmerk-
samkeit gebildeter Kreise fast ausschliesslich fesselten. Wie
ein erfrischender Quell wirkte aber auch das neu aufgenom-
mene Studium der Klassiker auf kommende Geschlechter.
Wahrend Griechenland, von den Römern, Gothen und
Türken verwüstet und geknechtet, unrettbar in Barbarei
versank, wusste Italien, obwohl nicht minder ein Tummel-
platz fremder Eroberer und durch innern Unfrieden zer-
rüttet, doch eine gewisse moralische Widerstandsfähigkeit
zu bewahren. Wenn auch durch die Einfalle germanischer
Völkerschaften äusserlich ruinirt, ward es doch durch die
Vermischung mit urkräftigen, höchst bildungsfähigen Stäm-
men immer wieder regenerirt. Die Stürme, welche die Ge-
sellschaft in ihren Grundvesten erschütterten, reinigten zu-
gleich die Atmosphäre der Weltgeschichte und leiteten fri-
*) „In Italien lebt heut! noch das ganze Volk, soweit es nur über-
haupt etwas von Denkleben hat, im Gefühl eines ununterbrochenen Zu-
sammenhangs mit der klassischen Vorzeit. Die Naivetät, mit der sich
jeder für einen direkten Abkömmling der alten Umbrier, Römer oder
Grossgriechenländer weiss, hat etwas komisch- erfreuliches. Von Scipio
oder von Titus sprechen sie wie von ihrem leiblichen Urgrossvater, und
kommt man gar nach Sicilien, so reden sie einem von Archimedes, Dionys
oder gar von Odysseus wie von einem vertrauten alten Vetter."
(L. Bamberger.)
2
- 18 —
sches, gesundes Blut in ihre vertrockneten Adern. So
konnte es geschehen, dass im spätem Mittelalter das viel-
gepriesene Hesperien nochmals» der Einigungspunkt aller
Bildungselemente Europa's wurde. Die Beziehungen zur
alten Literatur blieben durch die Sprache Roms erhalten,
die auch nach der Besitzergreifung durch barbarische Völker
noch Jahrhunderte hindurch die amtliche, wie die Sprache
der Kirche, der Dichter, der Geschichtschreiber fast aus-
schliesslich blieb. Unter des Ostgothen Theodorich's Herr-
schaft gewann Italien Ruhe und neuen Aufschwung. Der
Einfall der Longobarden störte nur momentan seine Ent-
wicklung. Die Zeit Karl's des Grossen förderte mächtig
seine Kräftigung. Bereits im 11. und 12. Jahrh. blühten
gelehrte Schulen zu Salerno und Bologna. Im Kampfe gegen
päpstliche und hierarchische Willkür stählte sich Wissen
und Vermögen des erwachenden Geistes. Die Kreuzzüge
und der dadurch angebahnte Verkehr mit dem Oriente lei-
teten die Bildungselemente von dort nach Europa.
Schon zur Römerzeit hatte sich neben der lateinischen
Schriftsprache (sermo wrbanus) eine Volkssprache (sermo
rusticus) gebildet, die weitere Aus- und Durchbildung ge-
wann, seit durch die Kriegszüge Rom's und die Einfälle
fremder Völker stetes Hin- und Herfluten auf italischem
Boden und fortwährende Racenkreuzung stattfand. Bereits
im 8. Jahrh. begann sich in den von Mischlingsnationen
bewohnten romanischen Ländern (im Südwesten Europa's)
eine bedeutsame Wandlung zu vollziehen, eine neue Sprache,
das sogenannte Romanzo, von den Alpen bis Sicilien hinab
in unzählige Dialekte zersplittert, festzustellen. Dasselbe ge-
langte zunächst in der Provence und ihren Nachbarländern*)
*) Catalonien, Aragon, Valencia, Murcia, Navarra, Gascogne,
Dauphin^, Langued'oc, Roussülon, Auvergne, Limousin, Poitou, Guienne,
Burgund, Quercy, im nordwestlichen Sardinien, Mallorca, Minorca
u. s. w.
- 19 -
zu dem Grade geistiger Durchbildung, der das Entstehen
einer Literatur ermöglichte. Die proven$alische Poesie ist
die älteste im modernen Europa, diejenige, die den dauernd-
sten und tiefgreifendsten Einfluss auf die poetische Produk-
tion aller Völker ausgeübt hat. Ihre Träger waren wie-
derum die Troubadours, die aus ihrer Heimath westwärts
über die Pyrenäen ziehend, am Hofe zu Aragon, ostwärts,
über den Alpen, bei den Markgrafen von Montferrat und
von Este, wie nicht minder bei dem kunstsinnigen, sanges-
kundigen Hohenstaufen, K. Friedrich H., gastliche Aufnahme
fanden. Am sicilianischen Hoflager des letztern, wie an dem
Azzo's VH. zu Ferrara (t 1264), den seine Zeit den Fürsten
der Troubadours nannte, hatten oft festliche Wettkämpfe
zwischen fremden und heimischen Sängern statt. Von hier
aus machte sich denn auch der bald über ganz Italien ver-
breitete Einfluss der proven$alischen Dichter geltend. Die
frühesten italienischen Poesien, die des Ciullo d'Alcamo,
des edlen Friedrich's II. und seiner hochbegabten Söhne
Enzio und Manfred, sowie seines berühmten Kanzlers
Pier delle Vigne stellen sich noch als ein Gemisch ver-
schiedenartiger lateinischer und romanischer Idiotismen dar.
Im Verlauf des 13. Jahrhunderts aber gelangte der toska-
nische Dialekt, das volgare illustre, zu allgemeiner Geltung.
Bei den Vorgängern und Zeitgenossen Dante's erscheint
der poetische Ausdruck noch dürftig und beschränkt; aber
dieser grosse Dichter und in fast unmittelbarem Anschlüsse
an ihn Petrarca und Boccacio schufen ihrem Volke eine
Sprache, die, gleich befähigt für poetischen wie prosaischen
Ausdruck, eine neue, reiche Blüthezeit der schönen Litera-
tur ermöglichte. Diese Thatsache vollendete sich in wenigen
Decennien, denn zwischen dem Geburtsjahr Dante's (1265)
und dem Todesjahre Boccacio's (1375) liegt wenig mehr
als der Baum eines Jahrhunderts. Von den drei genannten
bewunderungswürdigen Männern, zugleich Schöpfer und
2*
- 20 -
Vollender der italienischen Sprache, war Dante in Flo-
renz geboren, die übrigen waren wenigstens florentinischer
Abkunft.
Florenz, achtungsweifth durch Freiheitsliebe und viel
fache, im Interesse bürgerlicher Unabhängigkeit geführte
blutige Kämpfe, berühmt geworden durch den Muth und
die Entschlossenheit seiner Bewohner, wie durch deren Nei-
gung für jede Art von Wissenschaft, für jedes Erzeugniss
der Kunst — die Verteidigung der Freiheit hat jederzeit
die Geisteskräfte erweitert und vervollkommnet — , Florenz,
die Wiege der poetischen Literatur Italiens, blieb auch für
folgende Zeiten tonangebender Mittelpunkt aller poetischen
und künstlerischen Bestrebungen, und wenn auch nicht alle
späteren Dichter daher stammen, an den von hier aus-
gehenden bildenden Einflüssen nahmen alle Theil.
Jeder der drei vorstehend genannten berühmten Männer
hatte ziemlich den gleichen Bildungsgang. Alle empfingen
durch die Dichtungen der provengalischen Sänger und die
Ritterbücher des karolingischen Sagenkreises die erste An-
regung, daneben aber betrieben sie mit grösstem Eifer das
Studium der römischen Schriftsteller. Die Kenntniss des
Griechischen war noch eine so seltene, dass Petrarca nur
zehn Gelehrte aufzuzählen wusste, die damals in Italien
diese Sprache verstanden. Dante hinterliess der Nachwelt
in seiner göttlichen Komödie ein von allen Zeiten bewun-
dertes Meisterwerk epischer Poesie. Petrarca wurde der
Schöpfer des zierlichen, kunst- und gedankenreichen Son-
netts und der anmuthigen Canzone; Boccacio der muster-
giltige Begründer italienischer Prosa, das kaum erreichte
Vorbild für zahlreiche kommende Novellisten und Erzähler.
Leider hat die italienische Literatur in ihrem Bestreben
nach äusserer Eleganz, nach Wohllaut und Zierlichkeit des
Ausdrucks, nach geschmackvoller, anmuthiger Darstellung
es versäumt, sich auch geistig zu vertiefen. Italienische
- 21 —
Dichtungen werden stets durch harmonischen Tonfall, durch
süssen Wohlklang, musikalischer Behandlung so entgegen-
kommend, bezaubern; ihr Inhalt, mehr ein Spiel mit schönen
Worten und reizenden, lieblichen Bildern, als ein Erguss
tiefer Gedanken und ergreifender Innerlichkeit, lässt stren-
gen, dem Gehalt auf den Grund gehenden Forderungen
gegenüber, meist unbefriedigt.
Die schöne Literatur Italiens ist ausserordentlich reich
und vielseitig. Das Epos fand in Pulci, Bojardo, Ari-
osto und Tasso seine hervorragendsten Vertreter, die Zahl
der Sonnettendichter ist unübersehbar; die Burleske und Sa-
tyre, als deren eigentlichste Heimath ebenfalls Florenz an-
zusehen ist, die erotische Poesie, wie die Dialektdichtung
und die Kunst der Improvisatoren gediehen nirgends an-
derswo mit gleichem Erfolge. Dagegen entwickelte sich die
dramatische Dichtung hier später und mühsamer. Auf dem
Gebiete der Tragödie haben die Italiener trotz vielfacher
Anstrengungen doch nur minder bedeutendes geleistet; da-
für aber, nachdem sie nur erst über das Anlehnen an
Plautus und Tereoz hinweg waren, bethätigten sie eine um
so grössere Fruchtbarkeit und Originalität auf dem des
Lustspiels und der burlesken Posse.
Ich habe es versucht, der Schilderung der musikali-
schen Entwicklung die der literarischen in eben so allge-
meinen Umrissen folgen zu lassen. Wir sind nun an dem
Zeitpunkte angelangt, da Musik und Poesie in Wechsel-
wirkung treten und zum Zwecke dramatischer Darstellun-
gen sich verbinden können. Von dem ernsten Dante,
dem Schüler Brunetto Latini's, dem Genossen Cimabue's
und Giotto's, wissen wir, dass er ein Freund aller Ton-
künstler, ein leidenschaftlicher Verehrer der Musik war.
Besonders der Sänger Casella, der des 'Cino da Pistoja
Madrigale (damals eine neue poetische Form) in Musik
setzte, genoss seines intimen Umgangs. Dante errichtet
%
- 22 -
ihm in seinem herrlichen Gedichte, der göttlichen Komödie,
ein bleibendes Denkmal; er begegnet ihm nämlich auf sei-
ner Wanderung durch das Fegefeuer (im zweiten Gesänge
des Purgatorio) und berauscht sich hier nochmals an dem
süssen Gesänge seines ehemaligen Lieblings.*) Gewiss war
*) 76. Und aus der Seelenschaar hervor trat eine,
Mich zu umarmen mit so grosser Liebe,
Dass zur Erwiederung sie mich bewog.
79. Schatten, wesenhaft nur für das Auge!
Dreimal umwand ich hinter ihm die Hände
Und dreimal führt' ich sie zur Brust zurück.
82. Vor Staunen glaubt' ich, dass ich mich verfärbte,
Weshalb der Schatten lächelnd von mir wich,
Und als ich vorwärts schritt, um ihm zu folgen.
85. Mich sanft und freundlich abzustehen ermahnte.
Da ward ich, wer er sei, gewahr und bat ihn,
Dass er mit mir zu reden etwas weile.
88. Wie ich im Leib, der sterblich war, Dich liebte,
Erwiedert' er, lieb' ich von ihm getrennt Dich,
Darum verweil' ich; aber warum gehst Du? —
91. Hierher zurückzukehren, mein Casella,
Sagt' ich darauf, schritt ich zu dieser Reise.
106. Eaubt Dir kein neu Gesetz
Des liebevollen Sanges Brauch und Kenntniss,
Der all mein Sehnen zu beruh'gen pflegte,
109. So wolle meiner Seele, die begleitet
Vom Leib hierher kam und sich schwer beklemmt fühlt,
Ein wenig Labsal durch Dein Lied bereiten. —
112. „Die Liebe, die zu mir im Geiste redet"
Hub er darauf so süss zu singen an,
Dass noch die Süssigkeit mir innen nachtönt.
115. Mein Meister, sowie ich und jene Seelen,
Die mit mir kamen, schienen so beseligt,
Als ob nichts Andres uns am Herzen läge.
118. Wir gingen ganz vertieft in seine Töne.
(K. Witte.)
— 23 —
es auch Sitte, die Sonnette und Canzonen Petrarca'» und
seiner vielen Nachahmer mit Begleitung der Laute zu sin-
gen. Man erzählt, dass Luigi Pulci sein umfangreiches
Heldengedicht: „Der grosse Morgante (il Mor gante mag-
giore. 1488.) an der Tafel des Lorenzo von Medici nach
Art. der alten Rhapsoden vorgetragen habe. Dasselbe
Epos wurde später am Hofe von Ferrara von dem be-
rühmten Poliziano, dem gelehrten Ficino und der schönen
Lucrezia von Medici, Gemahlin Alfonso's H. von Este, in
gleicher Weise singend und recitirend wiederholt. Auch
Bojardo soll seinen in Ferrara gedichteten „verliebten
Roland" (Orlando innamorato. 1496) dem Hofzirkel in
ähnlicher Art zuerst vorgeführt haben. Man darf sich
allerdings unter solchem Gesänge keinen lied- oder arien-
artigen, zu dem sich epische Dichtungen überhaupt nicht
eignen, denken. Der Vortrag bestand voraussichtlich nur
in einem Deklamiren mit erhöhter Stimme, an passen-
den Stellen, je nach Einsicht und Geschmack der Mit-
wirkenden, psalmodirend zu melodischen Fragmenten aus
dem Stegreife übergehend. Die Lust am Gesänge wurde
aber durch derartige Versuche angeregt, und die Höfe,
durchgehens kunstsinnig und für höhere und feinere Ge-
nüsse empfänglich, Hessen solchen Bestrebungen möglichste
Förderung zu TheiT werden. Nachdem nun endlich noch
durch den sinnreichen Ottaviano dei Petrucci von Fos-
sombrone i. J. 1502 in Venedig der Notendruck mit be-
weglichen Metalltypen erfunden worden war, konnten musi-
kalische Werke leichter wiedergegeben, für ihre weitere
Verbreitung gewirkt, der Liebe zum Gesänge stets neue
Nahrung zugeführt werden. Es ist ganz unglaublich, welche
Fülle von Gesangsmusik im 16. und 17. Jahrhundert be-
sonders in Italien auf den Markt gebracht wurde und mit
welcher Theilnahme das musikliebende Publikum diesen Pu-
blikationen folgte.
- 24 -
Italien war im spätem Mittelalter in eine Menge kleiner
Territorien zersplittert. Die Karte des Landes erscheint in
dieser Periode so bunt und häufig wechselnd, wie in unferner
Zeit diejenige Deutschlands; aber dort wie hier hatte dieser
Zustand, wenn er auch politische Schwäche zur Folge hatte,
den Vortheil, dass Kunst, Wissenschaft und edlere Bildung
vielseitige und allgemeine Pflege fanden. Je unbedeutender
an Ausdehnung und politischem Einflüsse die zahlreichen
Staaten Ober- und Mittelitaliens waren, um so wetteifernder
bestrebten sie sich, Gelehrte, Dichter, Musiker, Maler und
Architekten anzuziehen, zu beschäftigen und zu unterstützen.
Es gehörte zum guten Ton, für Kunst und Literatur sich
zu begeistern.
So finden wir denn an den Höfen der Medici in Flo-
renz, der Markgrafen von Montferrat in Gasale, der Her-
zoge von Este in Ferrara und Modena, der Montefeltre und
Rovere in Urbino, der Malatesti in Rimini, der Gonzaga in
Mantua, der Scaliger in Verona, der Sforza und Visconti
in Mailand, der Farnese in Parma, der Herzoge von Sa-
voyen in Turin u. s. w. der Kunst Kulturstätten erblühen,
zu denen sich alle hervorragenden und schöpferischen Gei-
ster drängten.
War nun schon der Hofton überhaupt ein feinerer
und gesitteterer, der Umgang mit den besten Söhnen des
Landes ebenso Bedürfniss als Sache des Ehrgeizes, so gaben
die stets wiederkehrenden glänzenden Hoffeste bei Vermäh-
lungen und ähnlichen Veranlassungen oder der mit ver-
schwenderischer Pracht allerwärts begangene Carneval den
Künsten vielfache Gelegenheit, sich in hervortretender Weise
zu betheiligen, und den Künstlern begehrte Veranlassung,
sich auszuzeichnen. Von jeher veranstaltete man zur Ver-
herrlichung solcher Hoffeste, und zwar nicht in Italien
allein, prunkvolle Aufzüge, theatralische Spiele, Turniere und
musikalische Wettkämpfe. Es galt zuletzt nur, alle diese
- 25 -
getrennten Bestrebungen in einen Rahmen zusammenzufas-
sen und das musikalische Festspiel, die Oper, war erfunden.
Zu den nach dieser Sichtung hin gemachten Ver-
suchen traten seit Wiederaufnahme der klassischen Studien,
gerade in den gebildeten Kreisen der Gesellschaft, unklare,
aber die Phantasie äusserst erhitzende Vorstellungen über
die Musik der Alten und deren wunderbare Wirkungen.
Damals, wie heute, fehlte für diesen Gegenstand jede un-
mittelbare Anschauung, aber <|ie Sagen von Orpheus und
Amphion, das, was man sich von dem überwältigenden Ein-
drücke des griechischen Drama's erzählte, hielten die Geister
in Aufre'gung und Spannung. Wie mussten die machtvollen
Tragödien eines Aeschylos, Sophokles und Euripides, die
man dem Text nach wohl kannte, erst wirken, wenn man
eine entsprechende Musik dazu wieder zu finden vermochte?
Die Umgestaltung der Tonkunst im Sinne des Alterthums
wurde allmählig Losung des Tages.
Es ist nöthig, uns nochmals den Zustand der Musik
im beginnenden 16. und 17. Jahrh. zu vergegenwärtigen. Die
kirchliche Tonkunst hatte in Palestrina ihren Höhepunkt er-
reicht, aber schon er, wie die besten Meister seiner und der
nächstfolgenden Periode (A. Willaert, Cyprian de Köre,
Gostanzo Porta, Orlando di Lasso, Orazio Vecchi,
Luca Marenzio, Carlo Gesualto, Principe di Venosa,
Claudio Monteverde u. A.) bebauten, neben der geist-
lichen Komposition (in unversiegbarer Fülle immer neue
Messen und Motteten erzeugend und durch ihre Stellung und
Bedeutung in der Kunst stets noch den Vorrang einneh-
mend), - zugleich mit Vorliebe das Gebiet des kunstreichen,
mehr-, ja vielstimmigen weltlichen Gesanges. Ursprünglich
hatte man auch hier an das Volksmässige angeknüpft; man
hatte Frottoles, d, i. triviale, spasshafte Volkslieder, dann
ViUanellen oder ViUoten, Bauernlieder, Ballette, Tanzlieder
u. s. w. komponirt, bis man endlich zu den Madrigalen
- 26 -
gelangt war, kurzen* von Tasso nachmals zur höchsten
Vollendung gebrachten und flüchtigem Reimwerk entrück-
ten Gedichten, den Preis der Liebe singend, innige, in
wenigen Zeilen, wie Blütenblätter leicht hinschwebende
Gedanken enthaltend und mit einer witzigen oder zarten
Wendung schliessend. Derartige Dichtungen nun, in einem
freien, mehr oder minder kunstreichen oder verkünstelten
Kontrapunkt gesetzt, bildeten durch Jahrhunderte die Grund-
lage für alle Kammermusik, in dieser Zeit fast ausschliesslich
auf Gesang angewiesen, das Lebenselement aller feineren
musikalischen Kreise. In den Gesellschaften des Hofs, wie
in denen gebildeter Familien, bei heiteren Festen, wie bei
ernsten Veranlassungen, in öffentlichen Vorstellungen und
Schauspielen aller Art , * bei Maskeraden und Festaufzügen,
selbst in der Kirche behauptete das mehrstimmige Madrigal
seinen Platz.
Die Gesangsfertigkeit gleichzeitiger Sänger, ihre Treff-
fähigkeit und Taktfestigkeit muss eine sehr achtungswerthe
gewesen sein, denn die oft sehr eigenartigen und vielver*
schlungenen Tonsätze der alten Madrigalisten, an deren
Ausführung Künstler wie Dilettanten sich gleicherweise be-
theiligten, bieten selbst geübten Sängern unserer Tage schwer
zu lösende Aufgaben.
Für die Dauer aber konnten derartige, von ihrer Zeit
mit Recht hochgehaltene Meisterwerke des mehrstimmigen
Satzes allein doch nicht befriedigen, am wenigsten ein Volk,
das von den Künsten in erster Linie sinnlichen Genuss und
geistige Anregung begehrt, ihnen aber nicht grübelndes
Sinnen und innere Vertiefung entgegenbringt. All diesen
kunstvollen Madrigalen fehlt das dem italienischen Ohre
wichtigste Element: die hervortretende, einschmeichelnde,
liebliche Melodie. Waren auch die einzelnen Stimmen nach
den Gesetzen der Schule und Tonlehre zueinandergefügt,
weder der Verstand, der die Worte deutlich zu vernehmen
- 27 -
begehrte, noch das Gemüth, das durch die Töne in eine
gewisse Stimmung versetzt sein wollte, wurden hier befrie-
digt. Es war mehr Musik für die Augen wie für die Oh-
ren, unfähig, das Individuum zu interessiren , die musika-
lische Charakteristik zu bereichern. Daher begegnen wir
denn auch allmählig solchen Versuchen, die den Einzel-
gesang in der Art anzubahnen streben, als sie die Haupt-
stimme der Madrigale von einem Solosänger, die übrigen
Stimmen von Instrumenten ausfuhren lassen. Aber auch
diese qn und für sich schon unkünstlerische Manier ward
bald wieder aufgegeben, besonders seit die Gesangkunst
der Fachmusiker sich zu grösserer Vollendung erhoben
hatte. Die berühmten Kunstsänger dieser Zeit (Jacopo
Peri und Giulio Caccini in Florenz, Honufrio Gal-
freducci, Melchior Palantrotti und die vielgepriesene
Vittoria Archilei) vermochten es, in Läufern, Trillern,
wie in allen Arten von Fiorituren den kunstfertigsten Sän-
gern der Gegenwart wenigstens gleich zu thun. Aber was
half dies? Immer war ja die eigentliche Cantilene, der
melodische Einzelngesang von bestimmtem Ausdruck, der
Gegenstand der Wünsche, namentlich der florentinischen
Kunstfreunde, noch nicht gefunden. So viel ward zuletzt
Allen klar, dem griechischen Drama entsprach der vorhan-
dene Madrigalengesang nicht.
Von den am toskanischen Hofe lebenden Tonkünstlern
schienen zur Verwirklichung der Idee einer selbständigen,
auf die Darstellung bestimmter Zustände und Empfindungen
abzweckenden Gesanges vorzugsweise berufen: der verstän-
dige Peri und der geschickte Caccini. Letzterer gab 1601,
nachdem bereits ein Jahr vorher seine und Peri's Partitu-
ren der „Euridice" erschienen waren, unter dem Titel: „die
neue Musik" (le rmove Musiche) in Florenz eine Sammlung
von ihm im Laufe der letzten Jahre erdachter Einzelngesänge
heraus, in deren höchst interessantem Vorworte er sagt, dass
- 28 -
er zuerst derartige Tonsätze ersonnen habe. Dann erzählt
er, dass er vor Jahren schon gelegentlich eines Besuches
seiner Vaterstadt Korn dort in den Häussern der Herren
Neri und Strozzi vor Kennern und Liebhabern seine Ge-
sänge mit ungemeinem Beifalle habe hören lassen uild dass
ihm damals die Versicherung geworden, man habe bisher
ähnlichen Gesang einer von einem einfachen Instrumente
begleiteten Einzelnstimme nie gehört. Aus dem uns glück-
licher Weise erhalten gebliebenen Werke Caccini's vermögen
wir die gleichzeitige Stufe künstlerischer Ausbildung genau
zu erkennen. Noch bedeutsamer aber ist für uns die aus-
führlich und trefflich geschriebene Anleitung zum guten Ge-
sänge, die der Verfasser — zugleich ein vorzüglicher Ge-
sanglehrer — seiner Schrift beigegeben hat. Bald sehen
wir nun nicht nur die weltliche, sondern auch die geist-
liche Musik in neue Bahnen, ja letztere sogar auf bedenk-
liche Abwege gedrängt, denn bereits i. J. 1602 gab der
berühmte Ludovico Viadana in Rom (lange irrthümlich
für den Erfinder des Generalbasses gehalten) seine epoche-
machenden Concerti ecclesiastiä heraus, mit denen er dem
Sologesang auch in der Kirche Eingang verschaffte.
Man darf wohl behaupten, dass die Lust und die
Freude an theatralischen Vorstellungen und die Neigung
für sie so alt wie das Menschengeschlecht ist. Sobald bei
einem Volke sich Kulturbestrebungen nachweisen lassen,
stossen wir auch auf Spuren dramatischer Spiele. Das
Christenthum erbte das Vergnügen an ihnen vom Heiden-
thume. So sehr die Kirche anfangs auch gegen jede Er-
innerung an den alten Aberglauben und die ihn stützenden
Gebräuche und Sitten eiferte, vermochte sie endlich doch
nichts besseres zu thun, als den Strom heidnischer Lust-
barkeiten auf ihr eigenes Gebiet herüberzuleiten und der
allgemeinen, unausrottbaren Liebhaberei für theatralische
Darstellungen nachzugeben. Von ihr ging zuletzt sogar die
— 29 -
Wiederbelebung der Schauspielkunst aus, nur suchte sie
die ursprünglich heidnische Bedeutung der Tänze, Gesänge
und Freudenäusserungen in Vergessenheit zu drängen und
christlich umzubilden. An hl. Tagen versammelte sich das
Volk um die Kirchen. Man betete und unterwarf sich from-
men Bussübungen, aber man zechte und tollte darnach auch
nach Herzenslust. Grotteshäuser und Kirchhöfe erfüllte dann
laute Fröhlichkeit und die entfesselte Lust der Tänze, Mum-
mereien und profaner, nicht selten zuchtloser Gesänge und
anstössiger Handlungen. Wie auch Fürsten, Synoden und
Konzile gegen solche Entweihung heiliger Stätten eifern
mochten, es war vergebens, denn die Kleriker stacken meist
selbst unter der Decke, waren in der Regel Anstifter
aller Ausschweifungen, unter den Tollen die Tollsten. Diese
regellosen Lustbarkeiten gewannen in den Mysterien, dra-
matisch bearbeiteten Darstellungen biblischer und anderer
heiliger Handlungen, gewöhnlich auch von Geistlichen ge-
spielt und geleitet, frühe schon feste Gestalt. Zu wirkli-
cher Kunsthöhe und nationaler Bedeutung entwickelten sich
die geistlichen Schauspiele allerdings nur in Spanien, in
den Autos sacramentdles von Calderon und Lope de
Vega. Aber auch in Frankreich, Deutschland und Eng-
land waren sie der beliebteste Schmuck und das nothwen-
dige Attribut der Festzeiten.*) Unter dem sonnigen, ewig
*) Siehe darüber: Alt: Theater und Kirche in ihrem gegensei-
tigen Verhältnisse. Berl. 1846. — Bech stein: Das grosse thüring'sche
Mysterium von den 10 Jungfrauen (zu Eisenach 1322 gespielt). HaUe
1855. — Hase: Das geistliche Schauspiel. Lpz. 1858. — Hoff mann:
Fundgruben. Bresl. 1837. — Holland: Die Entwicklung des deutschen
Theaters im Mittelalter. München 1861. — Keller: Fastnachtsspiele
aus dem 15. Jahrh. HI. Stuttg. 1853. — Mone: Altdeutsche Schau-
spiele. Lpz. 1841, und: Schauspiele des Mittelalters. H. Earlr. 1846. —
Palm: Bebhun's Dramen. Stuttg. 1859. — Schletterer: Das deutsche
Singspiel. Augsb. 1863 und viele andere Werke.
- 30 —
heitern Himmel Italiens, bei dem erregbaren, dem Glänzen-
den, Phantastischen und allem Schauspielhaften so sehr ge-
neigten Sinne seiner Bewohner und der so natürlichen und
überraschenden Empfänglichkeit derselben für Poesie und
Musik, die selbst zu dichterischen Formen Töne und Weisen
findet, die der Nordländer für unkomponirbar erklärt, bei
der nur hier möglichen Sorglosigkeit und Anspruchlosigkeit
des Lebens, kann sich ohne besondere künstlerische Zuthat
jedes Kirchenfest, jede Prozession leicht zu einem in schil-
lernden Farben strahlenden und in anmuthigster Weise sich
entwickelnden Schauspiele gestalten. Mysterien und Mora-
litäten (Figur e, Vangelii, Esempii, Istotie oder Commedie
spirihtali) kannte man schon seit dem Anfange des 13. Jahr-
hunderts. Im 15. Jahrhundert wurden die Höfe die Kultur-
stätten für die dramatische Kunst. Florenz, Ferrara, Mai-
land, Mantua, Venedig und Turin hatten bereits prächtige
Schauspielhäuser, als man in Rom noch Singspiele auf einem
an den Strassenecken und auf öffentlichen Plätzen halten-
den Karren gab.*)
In Florenz, dieser alles Schöne und Edle fordernden
Stadt, waren die Medice er, eine Kaufmannsfamilie, zu un-
ermesslichem ßeichthume und durch Klugheit, Mässigung,
Herablassung und Freigebigkeit zu hohem bürgerlichen An-
sehen gelangt. Der grosse Wohlstand des Hauses, das aus
dunklen Anfängen im 14. Jahrhundert zuerst an's Licht
der Geschichte tritt, datirt aus den Zeiten der Konzile zu
Konstanz (1414— 1418) und Basel (1431—1439). Damals
schwang sich Johann von Medici, gen. Bichi (f 1429),
*) Im J. 1606 worden dramatische Kompositionen von Quagliati
und Tarditi auf einem beweglichen Karren von zehn Personen (fünf Sän-
gern und fünf Instrumentalisten) in den Strassen Borns 'dargestellt, denen
trotz der Unvollkommenheit der äussern Ausstattung wunderbare Wir-
kung nachgerühmt wurde.
- 31 -
zum ersten Banquier Italiens auf. Die treue und ehren-
werthe Freundschaft, die derselbe dem Balth. Cossa (als Papst
Johann XXIII. vom Konstanzer Konzil seiner Würde entsetzt)
erwies und der uneigennützige Schutz, den er ihm, dem Un-
terliegenden, schenkte, verschafften ihm die Achtung Euro-
pa's. Durch seine Wechsel, seinen guten Willen, seine offene
Hand ward es allein den italienischen Fürsten und Prälaten
ermöglicht, den lange dauernden Kirchenversammlungen an
den Ufern des Bodensee's und Rhein's beiwohnen zu können.
Wer wird es ihm verargen, wenn er der Kirche einen Theil
der Reichthümer wieder abnahm, die sie, zum Unheil der
Staaten und Völker, im Laufe der Zeit mit unersättlicher
Gier zusammengerafft, wenn er sich Zinsen bezahlen Hess,
deren Höhe man verdammte, sie aber, da er allein Geld
besass, wenn auch mit blutendem Herzen, doch zahlte? Nach
des Vaters Tode vererbte sich Vermögen und Einfluss auf
Cosmos von Medici (geb. 1389, t 1464), ausgezeichnet
durch Klugheit, Humanität und unbegrenzte Grossmuth, vom
Volke als „Vater des Vaterlandes" gepriesen. Unter dessen
Enkel Lorenzo, dem Prächtigen (geb. 1448, 1 1492), einem
Manne, an Reichthum allen Privatpersonen Europa's über-
legen, mehr aber noch durch Weisheit und Kenntnisse her-
vorragend,*) erreichte der Familie Ansehen, deren Glieder
es immer noch als höchste Ehre schätzten, Bürger von
Florenz zu heissen, ihren Höhepunkt. Das Geschlecht sank
von dem Augenblicke, da es seine bürgerlichen Tugen-
den und Pflichten vergass und den edlen Traditionen sei-
nes Namens untreu wurde; von der Zeit, da es in den
*) „Lorenzo, der alte, von Medici, war ohne Widerrede gewiss
einer, wo nicht der erste der aUervortrefflichsten Männer, nicht nur der
selbst tugendhaften, sondern auch der die Tugenden liebenden und be-
lohnenden, die da jemals in der Welt gefeiert wurden."
(Ant. Fr. Grazzinj, gen. der Lasco. 1503.)
— 32 —
Fürstenstand erhoben ward (1531. 1569) und, um in seiner
neuen Würde sich zu behaupten, sich Oesterreich und den
Jesuiten in die Arme warf. Wie in anderen fürstlichen
Familien begegnen wir auch bei einzelnen Gliedern der
Mediceer ungesättigter Ehrbegierde und rücksichtsloser
Herrschsucht, wilder Grausamkeit und tückischer Hinter-
list. Im Laufe eines Jahrhunderts starben acht Glieder der
Familie eines unnatürlichen Todes.*) Mord war ja in diesen
italienischen Adelsgeschlechtern selbst unter Brüdern und
nächsten Verwandten keine Seltenheit.
Diese einstige Krämersfamilie, deren Seitenlinien auch
dann dem Handel noch nicht entsagten, als das Geschlecht
zu höchstem Ansehen bereits gelangt und selbst mit Kai-
sern und Königen in verwandtschaftliche Verbindungen ge-
treten war, gab der Welt drei Päpste,**) viele Kardinäle,
Erzbischöfe und Bischöfe, Frankreich zwei Königinnen,***)
Toskana sechs Grossherzoge ;f) aber alle diese Ehren ver-
leihen dem Namen Medici seinen Glanz nicht. Er würde
vergessen sein, wie der anderer erloschener Fürstenhäuser,
die gleicher Auszeichnungen, gleicher Ehren einst sich rüh-
men konnten, wenn nicht in den hervorragenden Gliedern
dieser merkwürdigen Familie die bewundernswerthe Gabe,
Glücksgüter, mit denen ein freundliches Geschick sie so
*) Peter Franz 1477 ermordet, Julian 1478 ermordet, Peter
1513 ertrunken, Alexander 1537 ermordet, Johann 1562 erstochen,
Garsias 1562 hingerichtet, Isabella 1578 strangulirt, Franz 1587
vergiftet.
**) Leo X. 1513—1521. Clemens VII. 1523—1534. Leo XL
1605, 1.— 27. April.
***) Katharina, geb. 1519, vermählt mit Heinrich II. 1533,
f 1589. Maria, vermahlt mit Heinrich IV. 1600, f 1643.
f) Cosmus L magnus 1569—1574. Franz f 1587. Ferdi-
nand I. f 1608. Cosmus H. f 1621. Ferdinand H. t 1670. Cos-
mus EI. f 1723. Johann Gasto t 1737.
- 33 -
überreich gesegnet hatte, in der für das allgemeine Wohl
edelsten, nützlichsten und freigebigsten Weise zu verwenden,
so zu sagen erblich gewesen wäre. Diese Klugheit, der grösste
Segen, der dem Reichthume werden kann, findet sich leider
allzu selten, sonst würden unsere Geschichtsbücher die Na-
men von Tausenden von Wohlthätern der Menschheit, Na-
men, deren Glanz den stolzer Fürsten- und Heldengeschlech-
ter weitaus überstrahlen würde, häufiger zu verzeichnen
haben. Alle Fehler und Sünden des Hauses Medici sind ver-
gessen, aber unvergänglich und mit ewigem Ruhme leuchtet
dieser Name durch alle Zeiten, weil er mit der Geschichte
der Künste und Wissenschaften, der Humanität und Civili-
sation aufs engste verbunden ist.
Die Mediceer schmückten ihre Vaterstadt mit den herr-
lichsten Bauten, sie erweiterten und bereicherten die durch
das Bücherlegat Niccolo Niccolini's fundirte erste öffent-
liche Bibliothek Italiens, stifteten die platonische Akademie,
deren erster Präsident der berühmte Platoübersetzer Mar silio
Ficino war, und suchten die 1348 gegründete florentinische
Universität, an der die grössten Gelehrten, besonders auch
namhafte griechische Lehrer, wirkten, in jeder Weise zu
heben und zu unterstützen. Sie unterhielten Reisende, die
allerorts Antiken, Gemälde und Manuskripte für ihre gross-
artigen Sammlungen aufzukaufen hatten; in ihrem Hause
fanden Dichter und Künstler ehrenvollste Aufnahme und
freigebigste Theilnahme, seltenste Werthschätzung, ja oft
hingehendste Freundschaft. Es war die Zeit, in der eine
erstaunliche Begierde die gebildeten Klassen erfasst hatte,
die Werke der Alten zu suchen und zu conserviren. Die
Entdeckung eines Codex der klassischen Literatur wurde
der Eroberung eines Königreichs gleichgeschätzt und es
galt für rühmlicher, einen alten Schriftsteller ediren und er-
klären zu können, als neue Bücher zu schreiben. Lorenzo
von Medici zählt selbst zu den talentvolleren und frucht-
3
- 34 -
barsten Dichtern Italiens. An den Namen seines Sohnes,
Papst Leo X., der das aus der ganzen Christenheit durch
Ablasskram zusammengeraffte Gold im Kreise ausgelassener
Reimer und Possenreisser lustig wieder verprasste, aber
zugleich auch der bereitwillige Förderer jener glorreichen
Periode italienischer Kunst war, welche die Werke Michel
Angelo's, Leonardo da Vinci's, Tizian's, RaphaePs,
Correggio's, Bramante's und vieler andern Meister ent-
stehen sah, knüpft sich die Erinnerung an das goldene Zeit-
alter der Künste und Wissenschaften. Nochmals flammte
im 17. Jahrhundert unter der leider nur allzu kurzen Re-
gierung Cosmos' II. der alte Ruhm des Hauses in hellem
Glänze empor, um dann auf immer zu verlöschen.
Mit den Mediceern in Florenz wetteiferten am erfolg-
reichsten die Herzoge von Este,*) die das nachmals unter
päpstlicher Herrschaft entvölkerte und verarmte Ferrara
zum Wohnsitze der Musen und Mittelpunkte hoher Bildung
erhoben hatten. Neben Florenz kann ebenbürtig nur Ferrara
mit seinen Kunst-* und Gelehrtenschulen und seiner frei-
gebigen Gastlichkeit für talentvolle und geistreiche Männer
genannt werden. An beiden Orten liefen die Bestrebungen
zur Hebung dramatischer Kunst zusammen, von ihnen gingen
zunächst alle Anregungen zu ihrer Vervollkommnung aus.
Folgen wir nun der allmahligen Entwicklung drama-
tischer Spiele, versetzen wir uns im Geiste nach dem rei-
chen, freiheitsliebenden, trotzigen und frohen Florenz. Selbst-
verständlich ist das Haus Medici, dessen Blüthezeit in Be-
zug auf poetische Lebensfreudigkeit und Förderung alles
Schönen nicht mit Unrecht dem Zeitalter des Perikles zu
Athen verglichen wird, tonangebend. Es ist die Zeit des
*) Albert, Markgraf, 1388—1393; er stiftet 1392 die Univer-
sität in Ferrara. Nikolaus IH, der Friedensstifter, f 1441- L io-
neil f 1450. Borso, Herzog, t 1471. Herkules I. f 1505. Al-
fons I. f 1534. Herkules H. f 1558. Alfons IL f 1597.
- 3S -
Karnevals, der von Weihnachten ab gefeiert, an altgrie-
chische und altrömische Festlichkeiten anknüpft.
Die altgriechischen Landdionysien nahmen am 26. De-
zember ihren Anfang, die Lenäen und Stadtdionysien fielen
noch in die Zeit unserer Fasten. Die altrömischen Sartu-
nalien hielten vom 17. oder 19. Dezember eine ganze Woche
hindurch an und durften je nach Lust und Neigung einer
zu heiterm Mummenschranz stets aufgelegten, unverwüst-
lichen Volksnatur sogar beliebig verlängert werden. Hatte
die Kirche auch versucht, die alten Volksgebräuche in ih-
ren Bereich zu ziehen und ihnen gewohntermassen eine
christliche Wendung zu geben, so lebten eben auch hier
die heidnischen Einrichtungen fort. Die tolle Maskenwirth-
schaft des Karnevals begünstigte die Fortsetzung altrömi-
scher, grotesk-komischer, nicht immer dezenter mimischer
Tänze und Schauspiele.
Am ausgebildetsten erschienen die Karnevalsbelusti-
gungen zu Florenz zur Zeit Lorenzo's, der nicht nur selbst
die muthwilligsten Lieder dafür dichtete und die heitersten
Scenen, ja besondere poetische Formen für sie ersann, son-
dern auch eine mit Gesangstücken bereicherte „Rappresen-
toUone", d. i. ein Schauspiel mit Gesängen, selbst ver-
fasste.*) Er blieb der persönliche Mittelpunkt des ausge-
lassensten Treibens und Jubels. Aus nächtlichen, beim
Scheine zahlloser Fackeln ausgeführter Prozessionen und
Aufzügen entwickelte sich im Laufe der Zeit eine Art Schau-
spiel. Vorläufig genügte es noch, das Auge allein zu er-
götzen. Stattlich gehamischte Schaaren zu Pferde und zu
Fusse vereinigten sich, einen Triumphzug darzustellen. Ein
Triumphator führ auf hohem Wagen unter jubelndem Zu-
ruf der Menge durch die beleuchteten Strassen. Nebenher
*) Seine Tonsetzer waren (siehe pag. 14) die berühmtesten Meister
ihrer Zeit: Jos quin und dessen Schüler Isaak.
3*
- 06 _
hatten Witz und Humor freiesten Spielraum. Die Jugend
der Arnostadt zog in abenteuerlicher Verkleidung, Lorenzo's
frohe und ausgelassene Verse singend, dem Festzuge voraus
oder drängte sich zwischen ihn hinein. In andern Jahren
wählte man Stoffe aus der Mythologie, z. B. die Sage von
Bachus und der Ariadne.
Wie diese Volksfeste, so feierte man auch die Hof-
feste. Einem mailändischen Geschichtschreiber, Tristano
Chalco, verdanken wir die Beschreibung eines merkwür-
digen Spektakels, das gelegentlich eines Hochzeitfestes am
herzoglichen Hofe zu Mailand aufgeführt wurde und als
dessen Erfinder er den Bergonzo Botta, einen Edelmann
aus Tortona, nennt.*)
*) In italienischen Archiven und Spezialgeschichten finden sich
zahlreiche Schilderungen prächtiger Hoffestlichkeiten. Alle gleichen sich
in ihrer Anlage, sie suchen sich nur im Reichthum ihrer Ausstattung und
in der bei ihrer Ausführung bethätigten Verschwendung zu übertreffen.
Als am 2. Februar 1502 die edle Frau Lucrezia Borgia als geliebte
Gattin Herzogs Alfons I. in Ferrara ihren festlichen Einzug hielt, hatte
ihr Schwiegervater, Herzog Herkulus L, der überhaupt für dergleichen
Festlichkeiten durch sein ganzes Leben hindurch eine wahre Leidenschaft
entfaltete, ihr zu Ehren Schaustellungen veranstaltet, wie sie herrlicher
nie gesehen worden waren. An der Spitze des Zuges ritten, in die Far-
ben des Hauses Este gekleidet, die herzoglichen Armbrustschützen, ihnen
folgten 24 Pfeifer und Trommler, diesen ein Musikchor von 80 Trom-
petern. Vor der Braut her gingen wieder 6 Trommler. Ausser dem Triumph-
bogen hatte man an 4 verschiedenen Orten auf offener Strasse Bühnen er-
richtet, vor denen jedesmal der Zug anhielt, um ein Festspiel mit anzusehen.
Auf dem ersten Theater befanden sich 3 Göttinnen, jede mit einem goldenen
Apfel in der Hand; sie sangen Verse zum Lobe der erlauchten Braut; auf
dem zweiten begrüsste sie Herkules und Kupido; auf dem dritten hiess
sie Merkur, von einem Chore von Nymphen umgeben, mit Tanz und
Gesang willkommen; auf dem vierten sah man eine auf einem rothen
Stiere reitende Nymphe, begleitet von 8 andern Nymphen, deren jede,
mit einem Jagdspiess bewehrt, auf einem Ochsen stand. 8 Satyre tanzten
und sangen um sie her. Bei dem Mahle, das den festlichen Tag be-
schloss, wurde die Gesellschaft mit ausgesuchter Musik (Zithern, Pfeifen,
- 3? -
„In Mitte eines prächtigen Saales, mit einer herrlichen,
von zahlreichen Instrumentalisten eingenommenen Gallerie
umgeben, sah man eine grosse Tafel. Sobald das Braut-
paar eintrat, begann das Fest. Jason eröffnete die Scene,
gefolgt von den Argonauten, die mit drohender Miene ein-
herschritten, das goldene Vliess mit sich führend, das sie,
nachdem sie ein Ballet getanzt,. das ihre Bewunderung der
schönen Prinzessin und des ihres Besitzes so würdigen Prin-
zen ausdrücken sollte, auf der Tafel zurückliessen. Dann
erschien Merkur, dem drei Quadrillen von Tänzern folgten
und der in gebundener Rede sich der List und Klugheit
rühmte, mit der er dem Hirten des Königs Admet von
Thessalien, Apollo, das schönste und fetteste Kalb der
Trommeln und Trompeten) und lebenden Bildern unterhalten. An den
nächsten 5 Abenden fanden dramatische Vorstellungen auf einer Bühne
statt, die der Herzog in der grossen Halle des Justizpalastes aufschlagen
und reich und köstlich hatte ausschmücken lassen. 110 Personen wirkten
in diesen Spielen mit. Unmittelbar vor der Bühne sass das Orchester,
hinter ihm im Halbkreis die Gäste. Zwischen jedem Akte wurde eine
Moresca, ein pantomimischer, damals sehr beliebter, halb moderner, halb
pyrr bischer Tanz, ausgeführt. Die erste Moresca tanzten 10 Krieger,
nach Art der Alten mit breiten Messern, Keulen, zweihändigen Schwer-,
tern und Dolchen bewaffnet. Beim Beginn der Musik theilten sie sich
in 2 Parteien, die sich als Gregner wüthend angriffen; die Streiche fielen
nach dem Takte der Instrumente. Stets tanzend bedienten sie sich ihrer
verschiedenen Waffen, zuletzt' der Dolche. Auf ein Zeichen fiel die eine
Hälfte, wie verwundet, zur Erde und ward nun von den Siegern gefesselt
und fortgeführt. In der dritten Moresca kamen auf einem Karren, von
einem Einhorn gezogen, das ein junges Mädchen führte, 4 Männer, an
einen Baumstamm gefesselt und mit Zweigen bedeckt. Das Mädchen
durchschnittnhre Bande und die Gefangenen traten an das Proscenium,
Loblieder auf die Neuvermählte singend, die einer von ihnen mit der
Laute begleitete. Die vierte Moresca tanzten 10 Mohren, die fünfte 10
Männer in prächtigen Gewändern, mit Federn auf den Köpfen und mit
langen Speeren, deren Spitze wie eine Fackel brannte, bewaffnet.
Am zweiten Abend wurden die „Bacchiden deB Plautus" aufge-
führt, dazu in den Zwischenakten Tänze von Satyren und Türken, am
- 38 -
ganzen Heerde weggestohlen, das er nun den Neuvermähl-
ten zum Geschenke bot. Nach ihm trat Diana mit ihren
Nymphen auf, die unter dem Klange von Waldinstrumenten
auf vergoldeter, laubbedeckter Bahre einen schönen Hirsch
trugen. Die Göttin legte ihn als ihre Gabe dem Bräutigam
vor, hinzufügend, dass es der in diese Gestalt verwandelte,
unvorsichtige Aktäon sei, der sich jedoch glücklich preisen
dürfe, da er für würdig gehalten, einer so weisen und lie-
Schlusse eine Pantomime: Ein Mädchen stürzt, von einem grossen ge-
flügelten Drachen verfolgt, entsetzt auf die Bühne; ein Bitter in voller
Rüstung eilt ihr zu Hilfe, verwundet mit seinem Speer das Ungeheuer
und legt ihm eine Kette an. Das Madchen und ihr Better äussern ihre
Freude, indem sie um den Drachen her tanzen und ihn dann mit sich
fortführen.
Ein andermal gab man „den prahlerischen Krieger von Plautus",
die Aufführung mit Erklärungen der Handlung begleitend. Die erste
Moresca wurde von 12 auf groteske Weise gekleideten Männern getanzt,
die grosse Laternen in Form eines Balles, eine auf dem Kopf und zwei
in den Händen trugen. In jeder Laterne brannten 5 Kerzen und die
Darstellenden tanzten so flink und rasch durcheinander, das die Bühne
wie eine einzige, grosse Feuermasse aussah. Im zweiten Tanze traten
12 Schäfer, mit Ziegenhörnern als Kopfputz, im dritten 2 Sänger auf,
«inen Liebesgott mit Pfeil, Bogen und brennender Fackel führend; die
letzte Moresca bestand wieder aus einem kriegerischen Tanz.
Der folgende Abend brachte „den Eselsverkauf des Plautus". Nach
dem ersten Akte trat ein Satyr auf, der auf seinen Schultern einen mit
silbernen Platten bedeckten Eselskopf trug ; er spielte auf Pfeife und Hand-
trommel. Die Töne seiner Musik lockten seine Genossen herbei, die
bald einen Tanz begannen, den sie geschickt mit Glöckchen begleiteten.
Plötzlich erschallt ein Hornton und, Jäger und Hunde fürchtend, flüchten
die Satyren in's Dickicht. Aber da Niemand kommt, wagen sie sich
wieder hervor; diese Scene wiederholt sich, immer mit einem andern
Nachspiele, dreimal. Als sie zuerst auf die Bühne zurückkehrten, flat-
terten Massen von Wachteln auf, die sie zu fangen suchten, dann brach
ein Schwann von Ziegen und Hasen, zuletzt Löwen, Tiger, Panther und
Leoparden aus dem Walde, die sie jagten und mit denen sie kämpften.
Dem zweiten Akte folgte ein Conzert von 8 Stimmen; eine der Sänge-
rinnen, eine Dame aus Mantua, sang unter Begleitung dreier Lauten
— 39 —
benswürdigen Braut daxgereicht zu werden. Kaum hatte sich
Diana entfernt, als das Orchester verstummte, um den süssen
Tönen einer Lyra zu weichen, die unter den Fingern des Or-
pheus die Herzen aller Hörer mit Bewunderung und Freude
erfüllte. „Ich beklagte (so sang der thrakische Sänger) auf
des Appenins Höhen den zu frühen Tod Eurydicen's. Das
Gerücht, von der glücklichen Vereinigung zweier liebenden,
so würdig für einander zu leben, drang zu mir. Mein Herz,
3 Romanzen mit wahrer Flötenstimme. Eine ländliche Pantomime (Gra-
ben, Säen, Schneiden, Dreschen, fröhliches Mahl und Tanz) bildete das
Zwischenspiel nach dem dritten Akte.
Als letztes Stück wurde „die Casina des Plautus" gegeben. Den
ersten Entre-Akt füllten Gesänge. Im zweiten stürzte mit Mienen des
Schrecks ein Mädchen herein, von wilden Männern verfolgt. Kupido
erscheint und vertreibt die Unholde. Er sang mit der Dame auf eine
höchst liebliche Art und mit grossem Talente. Plötzlich rollte eine un-
geheure Kugel auf die Bühne, die, als sie beinahe am Bande angekommen,
sich theilte; aus ihr erscholl nun ein köstlicher, vielstimmiger Gesang.
Im dritten Zwischenakte hörte man ein Conzert von 6 Violinen, bei dem
Herzog Alfonso L, ein ausgezeichneter Musiker, der die Geige in wahr-
haft künstlerischer Weise spielte, selbst mitwirkte. Ein prächtiger Fackel-
tanz beschloss das Spiel.
Der merkwürdigste Zug dieser und ähnlicher Aufführungen ist
eine eigentümliche Mischung von feinstem Geschmack und gröbster
Komik. Als Beispiele letzterer führt ein italienischer Schriftsteller eine
Moresca an, die ein Gefecht zwischen Verrückten darstellte. Als Waffen
hatten diese aufgetriebene, mit einem Strick an einen Stock befestigte
Schweinsblasen; ihre Beinkleider trugen sie über den Kopf und ihre
Hemden hatten sie um den untern Theil des Körpers gewunden. In
einer andern Moresca macht ein Bauer schamlose Angriffe auf ein Mäd-
chen; 12 Türken kommen dazu, nehmen ihre langen Pfeifen aus dem
Munde und vollziehen mit deren Bohren eine exemplarische Zücht-
igung des Zudringlichen. — Bemerkt sei noch, das die Stücke des
Plautus in lateinischer Sprache gegeben wurden. Doch stand dabei der
Schauspieler, der den Plautus darstellte, stets im Proscenium, um bei
schwierigen und verwickelten Stellen dem Verständnisse mit Erklärun-
gen nachzuhelfen.
(Gilbert: Lucrezia Borgia.)
— 40 -
seiner entschwundenen Freuden gedenkend, empfand zum
ersten Male wieder Vergnügen. Wie mein Geist,, haben sich
meine Gesänge verändert. Freude ergoss ich über alle We-
sen, liebliche Vögel lauschten meinen Liedern; ich konnte
sie ohne Widerstand haschen und biete sie nun der edel-
sten Fürstin." Diese Scene wurde plötzlich durch rauschende
Töne unterbrochen. Atalante und Theseus stürmten
herein, von Jägern begleitet, die in lebhaften und glänzen-
den Tänzen eine grosse Jagd vorstellten, *die mit Erlegung
des kaledonischen Ebers endigte, der unter Triumphballetten
ebenfalls dem hohen Paare zu Füssen gelegt wurde.
Im zweiten Theile erschien Iris auf einem von präch-
tigen Pfauen gezogenen Wagen, der von einem Chore, mit
leichtem durchsichtigem Schleier bedeckter Nymphen, in
silbernen Becken ihre Gaben tragend, umgeben war. Von
der andern Seite nahte Hebe, die Göttin der Jugend, aus
kostbaren Flaschen den Neuvermählten Nektar kredenzend,
den sie sonst nur den Göttern des Olymp's darbot. Ein
Chor arkadischer Schäfer, mit allerlei Feldfrüchten beladen,
nebst der Porno na und dem Vertumnus, die köstliches
Obst und Trauben vertheilten, geleiteten sie. Plötzlich öff-
nete sich der Fussboden, aus dem der Schatten des Api-
cius, des feinsten und üppigsten, durch die von ihm er-
fundenen Leckerbissen bekannt gewordenen Römers, hervor-
stieg, verkündend, er komme aus der Unterwelt, um die
Speisen zu würzen und das Mahl zu verschönen. Ein Tanz
der See- lind aller lombardischen Flussgötter, ausgesuchte
Fische herbeitragend, schloss diese Abtheilung.
Es folgte nun eine Art Drama. Orpheus, aufs Neue
erscheinend, führt den Hymen und eine Schaar Liebesgötter
mit sich. An sie schliessen sich die Grazien an, die ehe-
liche Treue geleitend, die sie der Prinzessin zur bestän-
digen Gesellschafterin anbieten. Während die eheliche Treue
spricht, kommen Helena, Medea und Eleopatra hinzu,
— 41 —
jede die Verirrungen ihrer Leidenschaft und die Verführungen
der Liebe besingend. Jene, erzürnt, dass diese lasterhaften
Frauen es wagen, die Reinheit dieses Tages durch ihre
Erzählungen zu entweihen,, gibt Befehl, sie zu entfernen,
worauf die Liebesgötter in einem heftigen Tanze über sie
herfallen und sie mit brennenden Fackeln verfolgen. An
ihrer Stelle treten nun Lukretia, Artemisia, Judith,
Portia, Tomyris, Sulpitia und Penelope, Kronen der
Keuschheit tragend, auf; nachdem sie diese ihre Kronen
der Braut überreicht und einen edlen Tanz ausgeführt,
kommt Bacchus mit vielen Chören von Satyrn, Silenen
und Aegipanen, durch ein fröhliches und possirliches Ballet
dem prächtigsten Schauspiele, das Italien je gesehen, ein
Ende zu machen."
Das klingt nun alles recht reich und schön, aber im
Grunde haben wir es hier doch mehr mit einer Maske-
rade als einem wirklichen Schauspiele zu thun. Die Gott-
heiten und Helden der Fabel scheinen nur dazu bestimmt,
den Dienst der Truchsesse zu verrichten und die Tafel Ait
den nöthigen Speisen zu versehen. Der Gesang der Solisten
mag über ein monotones, von einigen Griffen auf der Lyra
accompagnirtes Psalmodiren nicht hinaus gegangen sein.
Die Chöre waren im Style der Madrigale gehalten, die In-
strumentalmusik beschränkte sich wohl nur auf deren Be-
gleitung und die Ausführung sehr einfacher Tanzweisen.
Vollendeter nach Dichtung und Musik scheint ein
Schauspiel gewesen zu sein, das gegen Ende des 15. Jähr-
hunderts der Kardinal Raphael Riario auf einem auf seine
Kosten von Holz erbauten, mit Scenerien und Dekorationen
prächtig ausgestatteten Theater in Rom zu Ehren Papst
Innocenz VHI. (1484—1492) gab. Der Handlung lag „die
Bekehrungsgeschichte St. Pauls" (La conversione di San
Paolo) TM Grunde, die Musik dazu hatte Francesco Be-
verini komponirt. Männiglich war von der sehr gelun-
— 42 —
genen, glänzenden Darstellung hoch entzückt. Aber wie
noch später, wurde auch hier der Dialog nur gesprochen,
der Chor, Motetten oder Madrigale singend, trat am Be-
ginn oder Schluss der Akte, oftmals nur als Zwischenmusik,
die nicht einmal im Zusammenhange mit der Fabel stand,
auf. In ähnlicher Art waren alle Dramen des 16. Jahr-
hunderts angelegt, deren die Schriftsteller gedenken.*) Es
erübrigt noch, von einem derartigen Werke besonders zu
sprechen, von: „II Sacrifizio" (das Opfer), favola postu-
rale, gedichtet von Agostini Beccari, mit Musik von ei-
nem der talentvollsten Schüler Willaerts, dem berühmten
Alf onso della Viola (t um 1556), Kapellmeister des Her-
zogs Herkulus II. von Este, weil in diesem zwischen 1554
und 1567 wiederholt in Ferrara und andern Städten mit
grösstem Erfolge aufgeführten Stücke eine ganze Scene
recitativisch mit Begleitung von Instrumenten vorgetragen
worden sein soll.
Während das Singspiel aus rohen Anfängen und Ver-
suchen sich aümählig loslöste, entwickelte sich in seiner
Eigenart auch das italienische Schauspiel, das sich seit
dem 15. Jahrhundert in die Commedia delV arte (Kom-
mödie aus dem Stegreif) und Commedia erudita (gelehrte
Kommödie) schied. Erstere bildete ihr Personale, ähnlich
wie das Lustspiel der Alten, immer wieder aus betrogenen,
geizigen Vätern, lüderlichen Söhnen, hintergangenen Töch-
tern, schlauen Bedienten, so für die Hauptrollen stehende
Masken schaffend.
*) „I/Orbecche", gedichtet von Giraldi Cinthio und wie die
folgenden von Alf onso della Viola (1541) komponirt; „Ar etwa",
gedichtet von Alberto Lollio und „Sfortimato", verfasst von Ago-
stino Argenti; „ISincostcmza della Fortuna" (die Unbeständigkeit
des Glücks), noch 1564 im Paläste Bentivoglio in Bologna aufgeführt;
„Egle", gedichtet von Giov. Batt. Giraldi, komponirt vonAnt. del
Cornetto (1545) u. s. w.
- 43 -
Der venetianische Kaufmann, lebhaft und gemüthlich,
heisst immer Pantalone, der gelehrte bolognesische Dot-
tore, ernst und pedantisch: Gratiano, die beiden Lustig-
macher, aus Bergamo stammend, dessen PÖbel ein tölpel-
haftes, hinterlistiges Wesen kennzeichnet: Brighella, schlau
und gewandt, und Arlechino (in Neapel Policinello),
einfältig und plump. Die weiblichen Masken waren: Isa-
bella und Colombine (oder Smeraldina), letztere stets
Arlechino's Geliebte. Zu diesen ursprünglichen Personen
gesellten sich im Laufe der Zeit, je nach örtlichem Be-
dürfhiss, in Neapel, Venedig oder Paris, noch viele an-
dere, alle von typischem Charakter, so der Capitano
und Scaramuzzia, prahlerische Grossmäuler, Mezzetino,
der liebenswürdige Schurke, Tartaglia, der Stotterer,
Gelsomino, der süssliche römische Stutzer, Beltrame,
der mailändische Querkopf, Pierrot, der einfaltige Be-
diente, Giangurgulo und Goriello, kalabresische Lümmel
u. s. w.
Die Commedia delV arte wurde nur extemporirt, jede
Maske sprach ihren besondern Dialekt; die Ausfuhrung der
Fabel blieb einzig dem Talente der Schauspieler überlassen.
Die Verfasser der Stücke gaben nur das Scenarium, von
dem Abschriften auf beiden Seiten der Bühne aufgehängt
wurden. Die Darsteller überlasen vor dem Beginn der Vor-
stellung dieselben und überliessen sich darnach ganz ihrem.
Witze und ihrer Laune.
Diese Volkskomödie ward von den Gelehrten aufs
tiefste verachtet. In höheren Kreisen spielte man zuerst
Stücke altrömischer Dichter in der Originalsprache; dann
gab man italienische Uebersetzungen und Nachahmungen
derselben. Herzog Herkulus I. von Este, bis zu dessen
Zeiten sich auf den Bühnen nur Troubadours, Seiltänzer,
Taschenspieler und Marktschreier aller Art herumtrieben
und man sich höchstens zu Mysterien oder Darstellungen
— 44 -
biblischer Geschiebten verstiegen hatte,*) wird vielfach als
der Begründer des italienischen Drama's gepriesen, wie
denn überhaupt das Theater in Ferrara für das älteste
Italiens, für die Wiege der dramatischen Kunst gilt. Er
liess, in der Absicht, die dramatischen Darstellungen zu
heben, 1486 im Hofe seines Palastes zu Ferrara, also unter
freiem Himmel, eine Bühne bauen, um die „Menächmen"
und den „Cephalus" des Plauius, an deren Uebersetzung
er selbst lebhaftesten Antheil genommen, aufzuführen. Eine
solche Vorstellung kostete ihm stets 1000 Dukaten. Auf sei-
nen Wunsch übertrug und dramatisirte für dieses Theater
neben andern ähnlich bearbeiteten Werken Bojardo auch Lu-
cian's „Timon". Als im folgenden Jahre, da man zur Nacht-
zeit bei Fackelschein das „Spiel des Amphitryo und Sosia"
aufführen wollte, die Lust störend, heftiger Regen einfiel,
beschloss man die Erbauung eines Theaters in einem Saale
des Schlosses. Die Einrichtung des Schauplatzes glich der
des antiken Theaters. Die Sitze der Zuschauer erhoben
sich im Halbkreise der Bühne gegenüber, die in 2 Theile,
paleo und teatro, getheilt war. Ersterer war erhöht und
durch einen Vorhang bedeckt, hinter dem die wechselnden
Scenen erschienen. Von ihm leitete eine Treppe zu dem
tiefer liegenden Baum, vorzugsweise zu den Gesprächen,
den Chören und dem Tanze bestimmt. An den Seiten der
erhöhten Bühne befanden sich zwei Altane, der eine für
vornehme Zuschauer, der andere für das Orchester, das
bei Chören und Tänzen zu spielen hatte. Der Gesang der
Hauptpersonen wurde von Instrumenten, die hinter dem
*) Als Herzog Herkulus I. mit seiner jungen Frau, Eleonora von
Neapel, seinen festlichen Einzug in Ferrara hielt, war auf der Piazza,
dem grossen Eingange des Doms gegenüber, eine Bühne aufgeschlagen,
auf der man als Festspiel eine biblische Historie gab, in der Jakob und
seine Familie die Hauptrollen hatten.
\
- 45 -
höher gelegenen Raum plazirt waren, accompagnirt. Den
Beginn des Spiels kündete dreimal wiederholtes Trompeten-
geschmetter an. Mythologie und Geschichte lieferten die
Stoffe der Darstellungen. Chöre, meist betrachtend, auch
wenn sie in die Handlung eingriffen, und Tänze bildeten
die Ruhepunkte derselben. Wechselndes, sanftes Saitenspiel
und Flötenklang begleiteten unausgesetzt die Darstellung.
Trotz der Freigebigkeit des Herzogs und dem da-
durch hervorgerufenen Wetteifer wollte es nicht gelingen,
ein geniessbares italienisches Originalstück hervorzubringen.
Als das erste nennenswerthe italienische Drama, obwohl
sich Stücke von Macchiavelli, Ariosto,*) Bibbiena und
d'Accolti um die Ehre streiten, die ersten regelmässigen
Lustspiele seit der Zeit der Alten zu sein, gilt des berühm-
ten Angelo Poliziano's „Orfeo" (favola tragica), bald als
Schäferspiel, bald als Oper bezeichnet, ein Gelegenheits-
stück, das der Verfasser 1472 in zwei Tagen zur Verherr-
lichung des feierlichen Einzugs des Kardinals Francesco
Gonzaga (t 1483) in seine Vaterstadt Mantua, schrieb.
Dieses in 5 Akte (mit den Ueberschriften : jpastoräle, nin-
fale, eroico, negromantico , baccanale) getheilte Stück ist
von geringem Umfange und erscheint fast nur als eine Folge
dramatisch aneinander gereihter Gedichte von lyrischer Er-
findung und Ausführung. Sein Inhalt ist dieser:
Merkur als Prolog kündet in 16 Versen Inhalt und
Katastrophe an. Nachdem er abgetreten, klagt der junge
Schäfer Aristäus einem altern seine Liebessehnsucht nach
einem überaus schönen Mädchen. Vergebens sucht dieser
*) Ariosto hatte als Knabe den Theatervorstellungen am her-
zoglichen Hofe beigewohnt und nachhaltige und tiefe Eindrücke von
ihnen erhalten. Seine 1498 vollendete „Casscvria" wird, entgegen obiger
Annahme, von vielen Schriftstellern als das erste aller modernen italie-
nischen Dramen erklärt.
- 46 -
ihm seine thörichte Leidenschaft auszureden. Aristäus drückt
seine Klagen in folgendem hübschen Liede aus:
Vernehmt, ihr Wälder, meine leisen Klagen,
Denn meiner Nymphe darf ich sie nicht sagen.
Die schöne Nymph' ist taub bei meinen Schmerzen
Und meiner Flöte gibt sie kein Gehör.
Das nimmt sich meine Heerde selbst zu Herzen, j
Und badet sich im klaren Bach nicht mehr
Und will sein Leid mit ihrem Hirten tragen.
Vernehmt, ihr Wälder, meine leisen Klagen!
Wohl kann mein Schmerz die rohe Heerd' erweichen;
Die Nymphe nur verhöhnt der Liebe Brand.
Der Schönen Herz muss wohl dem Marmor gleichen,
Dem Eisen wohl und wohl dem Diamant.
Sie flieht vor mir schnell über WieB' und Land,
Wie vor dem Wolf das Lämmchen flieht mit Zagen.
Vernehmt, ihr Wälder, meine leisen Klagen !
Sag* ihr, o Lied, wie mit den schnellen Stunden
Der flüchtigen Schönheit zarter Beiz entflieht. i
Sag* ihr, wie bald die kurze Zeit entschwunden, '
Die, jetzt versäumt, nie wieder ihr erblüht!
Der Rose Pracht* — wie bald ist sie verglüht!
Die Schönheit glänzt nur in der Jugend Tagen.
Vernehmt, ihr Wälder, meine leisen Klagen!
tragt, ihr Winde, diese leisen Laute
Zu meiner Nymphe tragt sie freundlich hin!
Sagt ihr den Schmerz, den ich nur euch vertraute,
Und wendet linde den verstockten Sinn.
Sagt ihr, dass ich nur halb noch lebend bin,
Der Böse gleich, an der Gewürme nagen.
Vernehmt, ihr Wälder, meine leisen Klagen,
Denn meiner Nymphe darf ich sie nicht sagen. j
(Gries.) !
Tirsis, ein verirrtes Lamm suchend, kommt hinzu, J
erzählend, er habe ein Mädchen erblickt : „Von Schnee und \
Bösen war ihr Angesicht, von Gold das Haar, ihr Auge
dunkel, die Gewandung licht. u Aristäus» wähnend» sie sei
— 47 -
es, die er liebt, eilt ihr nach. Im zweiten Akt sucht er
die Fliehende, aber eine Dryade kündet ihm ihren plötz-
lichen traurigen Tod; eine Schlange hat sie gebissen. Da
naht Orpheus, mit der Zither in der Hand; auch ihm
theilt sie, während Andere gehen, Eurydice mit Grün und
Blumen zu bedecken, die Todeskunde mit. Zu Anfang des
dritten Aktes singt Orpheus zunächst das Lob des Kardi-
nals in einer lateinischen Ode von 13 sapphischen Strophen.
Drauf spricht er wehklagend seinen Entschluss aus, zu des
Tartarus Pforten hinabzusteigen, um durch thränenreiche
Gesänge dem Tode selbst/ Mitleid einzuflössen. Der Satyr
Mnesillus bemerkt hiezu: „Wer da hinunter geht, der kommt
nicht mehr herauf. Zu verwundern ist jedoch nicht, dass
der das Licht verliert, der Amor zum Führer sich er-
wählte." Im vierten Akt finden wir Orpheus am Eingang
zur Unterwelt. Er ruft den Cerberus, die Furien um Mit-
leid an; sie möchten ihn, den Jammervollen passiren lassen,
ihn, dem der Himmel und alle Elemente feindlich gesinnt
und der komme, um Gnade oder Tod zu erlangen. Pluto
fragt, wer der sei, der mit goldner Zither unbewegliche
Thore bewege und Aller Aufmerksamkeit so fessle, däss
die Qualen des Ixion, des Tantalus, der Danaiden unter-
brochen wären? Persephone bittet den Gatten, dem Sänger
Gehör zu schenken, der nun in fünf Ottaven der Eurydice
Tod erzählt. Beim Chaos, dem Alles entstamme, beim
Phlegeton, bei jenem Apfel, der der Königin einst so sehr
gefallen, fleht er um die Wiedergabe der Geliebten. Perse-
phone dringt in den Unstern, strengen Gemahl um des Ge-
sanges, der Liebe, der gerechten Bitten willen, diesmal dem
Flehenden nachzugeben. Pluto willigt endlich unter der Be-
dingung ein, dass Orpheus die Gattin nicht eher anblicken
solle, bis beide unter den Lebenden wieder angekommen
seien. In überströmender Freude singt dieser nun vier la-
teinische Verse des Ovid. Darauf Euridice: „Weh 9 , zu viel
- 48 —
Liebe verdirbt uns, ich bin von dir gerissen, lebe wohl!"
Orpheus: „Wer legt den Liebenden Gesetze auf? Verdient
ein Blick voll Zuneigung und so viel Verlangen nicht Ver-
gebung? Da ich beraubt bin und meine Freude in Schmerz
verkehrt, muss ich mich abermals zum Tode hinwenden. 11
Aber Tisiphone verbietet ihm, weiter zu gehen; unbeweg-
lich sind die Gesetze der Unterwelt. Fünfter Akt : Orpheus
beklagt sein Geschick. Frauenliebe soll ihn fortan nicht
mehr rühren; Niemand ihm mehr von Liebe sprechen.
„Der ist gar elend, der seinen Willen ändert, um eines
Weibes willen, ihretwegen der Freiheit sich beraubt oder
ihrem Ansehen, ihren Worten traut. Denn stets sind sie
leichter als das Blatt im Winde, und tausendmal am Tage
wollen sie und wollen sie nicht. Sie folgen dem, der
sie flieht, und entziehen sich dem, der sie zu besitzen
wünscht, kommen und gehen wie die Welle zum Ufer."
Da nahen Mänaden. Eine derselben ruft : „Schwestern,
hier ist der, der unsere Liebe verachtet. Aufl geben wir
ihm den Tod." Sie stürzen sich auf den unglücklichen
Sänger, schleppen ihn hinter die Scene und tödten ihn, ihn
in Stücke zerreissend und die Erde mit seinem Blute trän-
kend. Den Schluss des Spiels bildet eine Dithyrambe zu
Ehren de§ Bacchus, die in meisterhafter Art den bacchi-
schen Charakter ausdrückt.
Aus dem Ende des 15* Jahrhunderts wird uns noch
die Kunde von einer „Fülle von Schauspielen", die gele-
gentlich des Besuches Ludwig Sforza's, seiner Gemahlin
Beatrice und des Prinzen Alfons von Este in Venedig auf
besonders dazu erbauten Theatern zur Ausführung gelang-
ten. Ebenso sind uns aus dem 16. Jahrhundert eine An-
zahl seltener Notendrucke erhalten, welche die Musik, die
bei verschiedenen Mediceischen Hochzeiten benützt wurde,
uns überliefern.
Der erste dieser Drucke enthält die Tonsätze, die
- 4§ -*
bei der Hochzeit Herzogs Cosmus I. (magnus, geb. 1519,
t 1574) mit Leonora von Toledo, Markgräfin von Villa
Franca, 1539 vorgetragen wurden. Den Anfang macht ein
achtstimmiger, lateinischer, an die Braut gerichteter Be-
willkommnungsgesang. Darauf folgen zwölf Madrigale für
4 — 8 Stimmen von verschiedenen Komponisten (Costanzo
Festa, Mattio Rampollini, Ioan Petrus Masaconus,
Bacio Moschini und Francesco Corteccia):*) dazwi-
schen recitirt Apoll zur Begleitung einer Lyra lange Ge-
dichte. Die chorsingenden Charaktere stellen verschiedene
toscaaische Städte oder Gruppen von Sirenen, Nymphen,
Satyrn, Faunen, Meerungeheuern, Hirten u. s. w. vor. Den
Schluss macht ein Ballet der Satyrn und Bacchanten. Das
Orchester ist zusammengesetzt aus einem Oravicmibalo (ei-
nem primitiven Klaviere), kleinen Orgeln mit verschiedenen
Registern, Flöten, Posaunen, Krummhörnern und Zinken.
Der zweite Druck gestattet uns Einsicht in die
Komödie und die sechs, von Alessandro Striggio und
Fr. Corteccia komponirten Zwischenspiele,**) die am Ste-
phanstage 4 1565 im grossen Saale des grossherzoglichen
Palastes gelegentlich der Hochzeit des finstern und grau-
samen Francesco v. Medici, Prinzen von Florenz und Siena
(1541—1587), mit der stolzen und kalten Johanna von
Oesterreich, Tochter Kaiser Ferdinand's I., aufgeführt wur-
den. Diese unglückselige Verbindung wurde durch ein blen-
dendes Fest in grossem Hofstyle eingeleitet. Im ersten In-
termezzo erscheint in einer vom Himmel sich senkenden
*) C. Festa, Florentiner, Sänger in der päpstlichen Kapelle,
f 10. April 1545. — Fr. Corteccia, Kanonicus, seit 1580 Organist bei
St. Lorenzo in Florenz, 1540 von Cosmus I. zum Kapellmeister ernannt,
starb im Mai 1571.
' **) A. Striggio, Edelmann aus Mantua, geb. um 1535, erst in
Diensten Cosmus von Medici, dann Kapellmeister in seiner Vaterstadt,
f nach 1584.
4
- 50 -
Wolke, das Gespann weisser Schwäne aus ihrem Muschel-
wagen lenkend, Venus, begleitet von den Grazien und Jah-
reszeiten. Die allmählig die Erde berührende Wolke ge-
stattet zuletzt den Blick in' den offenen Himmelsraum, den
Jupiter, Juno, Saturn, Mars, Merkur und die übrigen Götter
füllen. Von ihnen geht eine wundersüsse, wahrhaft gött-
liche Harmonie aus. Zugleich verbreitet sich, den ganzen
Saal durchdringend, ein köstlicher, berauschender Duft.
Von der Seite her tritt Amor auf, in seinem Gefolge, des
Gottes Waffen und Geräthe tragend, die Hoffnung, die
Furcht, die Fröhlichkeit, der Schmerz. Es entspinnt sich
eine Komödie mit Gesang und Tanz. Venus und ihre Ge-
nossinnen singen achtstimmig, Amor und die ihn umgeben,
funfstimmig. Das Orchester, hinter der Scene placirt, be-
steht aus zwei Gravicimbali, vier Violinen, einer Viola, ei-
nem Cello, aus Lauten unfl. Flöten verschiedener Form und
Grösse, aus Lyren, Posaunen, Hörnern, Tamburins u. s. w.
Im Ganzen sind in den Stimmheften vierundvierzig verschie-
dene Instrumenta angegeben, deren Namen und Beschaffen-
heit uns nicht einmal durchweg mehr völlig erklärlich ist,
doch haben die einzelnen Instrumente keine besondern Par-
thien zu spielen, sie schliessen sich vielmehr im Unisono
nach Charakter und Umfang stets nur den Singstimmen an.
Dasselbe gilt von der Orchesterbegleitung fast aller folgen-
den Stücke.
In gleicher Weise bildete 1586, als die Schwester
Francesco's, Virginia von Medici, dem Herzog Cäsar von
Este angetraut wurde, ein Schauspiel den Mittelpunkt der
Feste; denn sonst übliche Turniere, Mummereien, Ringel-
rennen, Stiergefechte u. dgl. wollte der Vater, Grossherzog
Cosmus L, diesmal nicht veranstaltet wissen. Man gab des
Grafen Bardi: „Vamico fido", ein mit Zwischenspielen, die
zu prächtigen Ausschmückungen, Dekorationen, Aufzügen
und Balleten Gelegenheit gaben, durchwehtes Festspiel.
- 51 -
Es sollte darin zugleich der Musik grössere Ausdehnung
gegeben werden, Chor- und Sologesang in anmuthigem
Wechsel hervortreten. Ein gleichzeitiger Berichterstatter,
Bastiano de Rossi, sagt, dass es Bardi's Absicht gewesen,
in der musikalischen Behandlung vornehmlich die Pracht |
und Feinheit seiner Poesie glänzen zu lassen. I£ie Gesänge \
sollten reich, voll, mannigfaltig, angenehm und kunstge-
mäss im höchsten Grade sein, aber auch klar und das
Verständniss der Worte gestattend. Mit Bardi theilten sich
in die Kompositionen A. Striggio und Cristoforo Mal-
vezzi; sie bestanden meist aus Chören mit den Weissa-
gungen einer Zauberin und Prophetin durchwebt und von so
grosser Anmuth, dass man wähnte, alle Chöre der Engel
hätten sich auf die Erde niedergelassen. ■
Ein dritter der in Bede stehenden Drucke enthält v
die Intermezzi und Konzerte, welche 1589 bei der Hochzeit
Ferdinand's I. (geb. 1549, t 1608) mit Christine von Loth-
ringen aufgeführt wurden. Dieser Ferdinand, früher Kardi-
nal, war der Bruder des Grossherzogs Franz; es ruht
auf ihm der schwere, nicht abweisbare Verdacht, diesen
und seine zweite Gemahlin, die schöne, aber berüchtigte
und ränkevolle Venetianerin, Bianca Capello (unter grossen
Festlichkeiten 1579 gekrönt), vergiftet zu haben. Aufge-
führt wurde, ausser den von den berühmtesten gleichzeiti-
gen Tonsetzern (Luca Marenzio, dem Hofkapellmeister
Chr. Malvezzi, Jacopo Peri, detto il Zazzerino [Strobel-
kopf], Emilio de' Cavalieri,*) Intendant der grossher-
*) L. Marenzio (ü pm 46lce Cigno, il Cigno piu soave delV
Itidia, ü divmo Compositore), geb. um 1550 zu Coccaglio bei Brescia,
(Schüler G. Contini's), Kapellmeister des Königs von Polen, dann der Kar-
dinäle Este und Aldobrandini, 1595 päpstlicher Sänger, f 22. Aug. 1599.
— J. Peri, florentinischer Edelmann (Schüler Malvezzi's), erst Kapell-
meister in Mantua, seit 1601 Kapellmeister in Ferrara. — E. d. Cava-
lieri, römischer Edelmann, geb. um 1550, f vor 1600.
4*
- Sä -
ÄOglichen Hofmusik, und Graf Giovanni Uardi) kompo-
nirten Intermezzi's , bestimmt, durch überraschende Ver-
wandlungen, kostbare Kostüme, künstliche Tänze und aus-
gesuchte Gesänge die Aufmerksamkeit aufs Höchste zu
reizen und den Glänz des prachtliebenden Hofes in auf-
fallendster ^Weise zu entfalten, durch Mitglieder der Aka-
demie der Intronati aus Siena das Schauspiel: „la pelle-
qrina" von Girolamo Bargagli. Noch immer bestand
die Musik aus einer Keihe von 3 — 8stimmigen Madrigalen
lind 12 — 308timmigen Dialogen, aber zum ersten Male
treffen wir hier kurze selbständige Instrumentalsätze: Sin-
fonien für sechs Stimmen. Das Orchester, aus den Musi-
kern des Grossherzogs und Künstlern benachbarter Höfe
sowie den angesehensten Dilettanten gebildet, war sehr
stark besetzt und bereits nach künstlerischen Effekten grup-
pirt. Nur beim letzten, von der berühmten Luccheserin
Laura Guidiccioni verfassten Ballete wirkten sämmt-
liche Instrumente und Sänger zusammen. Der interessan-
teste Theil aller Spiele nach Sujet, Dichtung und Musik ist
das dritte Intermezzo, darstellend:- „il combattimento cFAp-
fpoline col serpente" (der Kampf ApolPs mit dem phytischen
• Drachen auf Delos), gedichtet von Ottavio Rinuccini,
komponirt von L. Marenzio, dem gepriesensten Madriga-
listen seiner Zeit.*) Es stellte in Wechselchören von Nym-
phen und Hirten, Bewohnern von Delos, welche die Hand-
lung umschlossen und begleiteten, des Gottes Kampf mit
dem Drachen vor.**) In einem von Violen, Flöten und
Posaunen accompagnirten Tanze wurde dieser Kampf voll-
*) Mit Unrecht wohl wird eine Dichtung unter gleichem Titel
auch dem Grafen Bardi und deren Komposition dem Sänger Caecini
zugeschrieben.
**) Die Scene bot den Anblick eines baumreichen Waldes, in
dessen Mitte die Höhle des Drachen, der schon viele Gipfel durch die
Schläge seines gewaltigen Schweifes geknickt hatte. — Die Bewohner
- 53 -
bracht, der Sieg durch ApolTs Gesang, durch ein Danklied
des Chors zu sanfttönenden Instrumenten gefeiert, das Ganze
durch ein Ballet beschlossen.
Biesen musikalisch -dramatischen Versuchen reihten
sich in den nächsten Jahren noch folgende, von L. Gui-
dicconi gedichtete, von Em. de* Cavalieri komponirte
und am florentinischen Hofe mit grossem Beifall gegebene
Schäferspiele an: „il Satiro" (der Satyr) und „h, dispera-
tione di Fileno" (die Verzweiflung Philen's) beide 1590 und
„il giuco della cieca" (das Spiel der Blinden) 1595. Diese
uns sämmtlich verloren gegangenen Stücke waren, wenn auch
Spuren künftiger Neuerungen in ihnen bemerkbar gewesen
sein mögen, doch vorwiegend in der bisher gebräuchlichen
Weise komponirt. Wohl sagt Cavalieri in der Vorrede eines
spätem Werkes, dass auch sie schon in dem wiedergefunde-
nen oder wiedererweckten Style der Alten abgefasst gewesen
seien, der bewunderungswürdige Wirkungen in Erregung von
Traurigkeit, Mitleid und Frohsinn ermöglichte, denn eine
Scene im „Fileno", recitirt von der berühmten Gesangs-
künstlerin Vittoria Archilei, entlockte den Hörern Thränen,
während des Filen's Charakter sie zum Lachen brachte.
Aber auf solche durch Thatsachen nicht zu belegende Aus-
sagen ist wenig zu geben. Soviel steht übrigens fest, dass
man, wie in der Kirchenmusik des überkünstelten Styles,
so auch in der weltlichen Musik der Vielstimmigkeit, die
weder einen charakteristischen Ausdruck, noch ein Ver-
ständmss der Worte gestattete, herzlich überdrüssig war.
Während man nun in Florenz glänzende Vorstellungen
gab, die, wenn auch noch in den Banden des Herkommens
befangen, doch ein gewisses Emporstreben bereits erkennen
<_
von Delos spähen furchtsam nach der Höhle; der Drache erscheint; sie
flehen zu Apoll, der rasch naht und das Unthier tödtet. Die Geretteten
singen darauf dem Gotte, den sie bekränzen, ein Loblied.
/
— 54 -
lassen, blieb man auch an 'andern Orten nicht müssig, ja
man strebte in eifersüchtigem Wetteifer es sich zuvorzuthun.
Die Höfe in Ferrara, Mailand, Mantua 11. s. w. veranstalte-
ten daher ebenfalls prächtige Aufführungen und da diese
fürstlichen Familien unter sich alle nahe verwandt, geschah
es, dass bei solchen Darstellungen die benachbarten Höfe
sich immer zusammenfanden. Grosses Aufsehen erregte um
diese Zeit eine Commedia armonica, mit dem sonderbaren
Titel „V Anfiparnaso", die 1595 in Modena aufgeführt
wurde. Der Komponist derselben, Orazio Vecchi,*) ein
sehr tüchtiger Kontrapunktist, wähnte darin etwas ganz
Neues und Besonderes gegeben zu haben. Das Stück, ohne
verbindenden Dialog, bestand nur aus einer Reihe fünfstim-
miger Burlesken, Madrigale in fugirtem Style, die hinter
den Coulissen gesungen wurden, während die handelnden
Personen auf der Bühne dazu gestikulirten.
Zwei andere bedeutsame musikalisch-dramatische Poe-
sien des scheidenden 16. Jahrhunderts bleiben hier noch
zu erwähnen^: Torquato Tasso's „Xminta" (favola bosca-
reccia) und Battista Guarini's „Pastor fido" (tragicorn-
media pastorale), beides vielbewunderte Werke zweier her-
vorragender italienischer Dichter.
Beide Komödien sind Schäferspiele, wie sie seit Bec-
cari's „Sacrifizio" beliebt geworden waren; aber durch
Tasso wurde die bis dahin triviale Art, romantische Idyl-
len zu dramatisiren , erst veredelt. Mag er nun in seinem
„Aminta", wie man in der Kegel annimmt, sein eigenes Ge-
müthsleben, sein persönliches Fühlen und Empfinden ge-
schildert oder das Anderer dargelegt haben, so viel ist
gewiss, seine idealisirende und romantisch schwärmende
Phantasie belebt, erfüllt und verklärt das ganze Gedicht.**)
*) 0. Vecchi, Modeneser, Hofkapelhneister in Modena 1605.
**) TaBso's „Aminta" wurde ein LiebHngsbuch nicht nur Ita-
liens, sondern aller Völker, in deren Sprachen es bald übersetzt wurde.
- 55 -
Aminta, ein junger Schäfer, schon verzweifelnd, die
schöne Sylvia für sich gewinnen zu können, ist so glück-
lich, sie der Lüsternheit eines Satyrs zu entreissen. Aber
die Spröde verschmäht die Huldigungen ihres Betters. Erst
als der Unglückliche, durch falsche Nachricht ihres TodeB
getäuscht, sich von einem Felsen stürzt, wird die Hart-
herzige gerührt. Unter ihren Küssen erwacht der Leb-
lose wieder, nun an's Ziel seiner Wünsche gelangend. Der
schönste Ausdruck der Empfindungen beseelt diese unbe-
deutende, einfache Fabel. Die Sprache hat durchweg einen
sanft lyrischen Schwung; das Silbenmaass wechselt, je nach-
dem die Wahrheit der Darstellung es heischt. Die Chor-
gesänge der Hirten unterscheiden sich von den Dialogen
und Monologen nur durch freieren, von der Situation min-
der beschränkten Ideenflug. Stets begleitet den Dichter die
Idee des goldenen Zeitalters und einer idealen Naturwelt,
daher er sich alle Lebensverhältnisse reiner und wahrer
denkt, als sie in Wirklichkeit sind; statt aller Gesetze an-
erkennt er nur Neigungen, statt aller Pflichten nur einen
tadellosen Trieb. Für jeden der vier Entre-Akte des Stückes
hat Tasso, wie es der Gebrauch der Zeit mit sich brachte,
Allen kommenden Dichtern diente diese reizvolle, innig empfundene Poesie
als Vorbild. „Viele von ihnen erbrachen Tasso's verborgenen Schrank,
wo er seine köstlichsten Werke aufbewahrte und entwandten ihm seinen
„Aminta". Nachdem sie ihn- unter sich vertheilt, zogen sie sich in
das Haus der Nachahmung zurück, wo sie eine sichere Freistatte zu
finden hofften. Auf Apoü's ausdrücklichen Befehl aber wurden sie un-
erwartet von einem Häscher ergriffen und zu ihrer Schmach als Räuber
abgeführt." (Boccalini). — T. Tasso, der Sohn des als Dichter ebenfalls
«hochgeschätzten Bernardo Tasso („Amadigi". Ven. 1560. „Floridante".
Bol. 1587. Fünf Bücher „Amori, Inni e Ode". Ven. [1531] 1555—1560)
und der schönen Porzia di Rossi, wurde 11. März 1544 zu Sorrento ge-
boren und starb 25. April 1595 in dem Hieronymitaner-KlöstercKen St.
Onofrio auf dem Janiculua in Rom. Der „Aminta" ward zum ersten
Male 1580 gedruckt.
- 56 —
ein Zwischenspiel, ein Madrigal, gedichtet; ausserdem wird
jeder Akt von einem Ghorgesang, dessqji Inhalt in allge-
meinen Betrachtungen besteht, beschlossen. Organisch greift
der Chor in die Handlung nur ein in der ersten Scene des
dritten, den beiden Scenen des vierten und der einzigen *
des fünften Aktes. Der, den ersten Akt schliessende Chor-
gesang, als der Schlüssel zum Wesen der ganzen Dichtung
anzusehen, mag hier folgen:
gold'ne Zeit! zu preisen,
Nicht, weil da Flüsse quollen
Von Milch, und Honig die Gehölze träuften;
Nicht, weil kein pflügend* Eisen
Von selbst ergieb'ge Schollen
Zerriss, und ohne Gift die Nattern schweiften;
Nicht, weil sich niemals streiften
Der Wolken düstre Schleier;
Bei ew'ger Lenze Blühen,
Die nur erstarr'n und glühen,
Der Himmel lachte wie in heit'rer Feier;
Die Ficht*, entrückt dem Lande,
Nicht Krieg noch Waaren trug zum fernen Strande:
Nein, bloss weü jener leere
Nam' ohne Sinn und Wesen,
Dies Götzenbild des Wahns, der Nichtigkeiten,
Dies, was hernach als Ehre
Die blinde Meng' erlesen,
Tyrannisch wider die Natur zu streiten,
Noch nicht den Süssigkeiten
Der liebenden Geschlechter
Einmischte seine Plagen,
Sein hart Gesetz zu tragen
Nicht jene Seelen zwang, der Freiheit Töchter;
Ein gold'nes nur, geschrieben
Vom Griffel der Natur: „Folgt euren Trieben!"
In süssen Reigen irrten
Durch Blumgewinde lüstern
Die Amor'n, ohne Fackel, ohne Bogen.
Es sassen Nymphen, Hirten,
- 57 -
Und mischten kosend Flüstern
In ihr Gespräch, wozwischen Küsse flogen,
Inniglich fest gesogen.
Das Mägdlein durfte zeigen
Der frischen Rosen Fülle:
Besorgt um keine Hülle
Liess sie des Busens herbe Früchte steigen.
Man sah im Bach, im Weiher
Mit der Geliebten scherzend oft den Freier.
Du hast zuerst, o Ehre,
Versteckt- den Quell der Wonnen,
Die dem verliebten Durste nun versiegen.
Du hast die spröde Lehre
Der Schönheit ausgesonnen,
Sich vor dem Blick in sich zurück zu schmiegen.
Der Locken freies Fliegen
Hast du im Netz gebunden, %
Für süss muthwilTge Sitten
Nur strengen Ernst gelitten,
Den Beden Zügel, Mass dem Schritt erfunden.
Mit tödtendem Betriebe
Machst du zum Baub, was Gabe war der Liebe.
Und deine Heldenwerke
Sind unser Weh und Qualen,
Du, die Natur und Liebe weiss zu zähmen,
So wie der Kön'ge Stärke;
Was nah'st du diesen Thalen,
Die sich vor deiner Hoheit müssen schämen?
Geh*, um den Schlaf zu nehmen
Den Mächtigen und Grossen 1
Und lass im niedern Kreise
Fortleben nach der Weise
Der alten Welt, verschmäht und ausgestossen.
Lieben wir, denn es eilen
Des Lebens Jahr' und wollen nicht verweilen.
Lieben wir, denn die Sonne sinkt und steiget.
Uns birgt nach kurzem Schimmer
Sie sich in Schlaf und in tiefe Nacht auf immer.
(A. W. Schlegel.)
- 58 -
Der unglückliche Tasso, vom kargen, hartsinnigen Her-
zog Alfons II. im Annenhospitale zu Ferrara durch 7 Jahre
grausam in willkürlicher Haft gehalten , schmachtete noch
im Kerker, als Guarini seinen „Pastor fido", die vorzüg-
lichste der vielen Nachahmungen des „Aminta", schrieb;
diese Dichtung wurde 1585 gelegentlich der Vermählung
Herzog Karl EmanueFs von Savoyen mit Katharina von
Oesterreich, Schwester König Philipp's Iü. von Spanien,
mit grosser Pracht in Turin zum ersten Male aufgeführt.
Die Fabel des funfaktigen , in stets wechselnden, kunst-
reichen Versmaassen abgefassten Stückes ist folgende: Die
Arkadier müssen zur Abwendung einer Landplage einem
Orakelspruche zufolge so lange Dianen alljährlich eine Jung-
frau opfern, bis Amor zwei vom Himmel stammende Herzen
vereint und, was ein treuloses Weib vordem gesündigt hat,
um der Liebe eines treuen Schäfers willen so wieder ge-
sühnt wird. Montan, Priester der erzürnten Göttin, Vater
Silvio's, leitet seinen Ursprung von Herkules her und be-
treibt auf des Orakelspruchs Veranlassung seines Sohnes
Verbindung mit der schönen Amarjrllis, Tochter des Tityro,
eines Nachkommen Pan's. Seine Absichten scheitern je-
doch an Silvio's hartem Sinn, der, den sanften Trieben der
Liebe unzugänglich, kein grösseres Vergnügen als die Jagd
kennt.*) Amaryllis aber wird von Myrtill, angeblichem
*) Silvio, mit seinem Diener Linco das Spiel eröffnend, wird vom
Dichter trefflich charakterisirt und lebendig also eingeführt:
Auf 1 die ihr eingehegt habt
Das grimm'ge Wild, gebt das gewohnte Zeichen
Zu dem Beginn der Jagd. Auf 1 es erwecke
Das Hörn die Augen, eu'r Geschrei die Herzen.
War je ein Hirt* Arkadiens
Befreundet Cynthien und ihrem Dienste,
Schwellt ihm den edlen Busen das Verlangen
Des Forstes und des Sieges Ruhm,
- $9 -
Sohne des Carino, bereits leidenschaftlich geliebt und er-
widert diese Neigung auch aufs lebhafteste, ohne sich je-
doch davon etwas merken zu lassen, aus Furcht, für ihre
Treulosigkeit an Silvio mit dem Tode bestraft zu werden.
Eine andere Hirtin, Corisca, welche ebenfalls für den Myr-
till heftig entbrannt ist, benützt die heimliche Leidenschaft
der Amaryllis, um diese ihre Nebenbuhlerin zu verderben.
Durch ihre Ränke weiss sie eine Zusammenkunft der Lie-
benden in einer Höhle und ihre Ueberraschung daselbst
durch einen Satyr herbeizufuhren. Die tief Beschämten
werden vor den Oberpriester gebracht, ihre Gesinnungen
verdächtigt. Amaryllis, ausser Stand, ihre Unschuld zu be-
weisen, wird zum Tode verurtheilt. Myrtill, unangefochten
von der Eifersucht, die ihm Corisca einzuflüstern sucht, be-
schliesst, für die Geliebte zu sterben. Das Gesetz, nur den
Frauen hart, gestattet Männern, für Verurtheilte den Tod
zu erleiden. Montan, der die blutige Feierlichkeit verrich-
Er zeig* es heut', er folge
Mir, wo im engem Umkreis
Doch weiten Plan für unsern Muth gesperrt ist
Der grausenvolle Eber,
Der Natur Ungeheu'r und unsrer Forsten,
Der ungeschlachte, grimme,
Durch den verübten Schaden
Verrufen, auf dem Erymanthos hausend,
Des Saatgefild's Verwüster
Und unsrer Heerden Schrecken. Auf, Genossen!
Nicht blos voraus zu eilen,
Nein, selber zu erwecken
Mit rauhem Schall die schläfrige Aurora.
Wir, Linco, geh'n, die Götter anzubeten.
Mit sichrerem Geleite
Besteh'n wir dann die Jagd, che unsrer wartet.
Wer wohl beginnet, hat schon halb vollendet,
Doch wohl beginnt nur, wen die Götter «dünnen.
(H. Müller.)
- 60 -
ten soll, schickt sich eben an, auf Myrtill den tödtlichen
Streich zu führen, als dessen vermeintlicher Vater Carino
anlangt und, von Mitleid hingerissen, entdeckt, dass dieser
ein Fremder und daher nach dem Gesetz unfähig sei, die
Strafe eines Andern auf sich zu nehmen. Es stellt sich
dann aber weiter noch heraus, dass Myrtill des Montan's
Sohn ist, der als Knabe in den Fluss gefallen, von Carino
gerettet und erzogen ward. Da nunmehr Myrtill kein Frem-
der mehr ist, muss Montan dem Gesetze genügen- und den
eignen Sohn opfern. Der väterliche Schmerz äussert sich
heftig und unverhohlen. Zum Glücke erscheint in diesem
Momente der blinde Seher Tirenio, vom Schicksal be-
stimmt, das Orakel zu enthüllen. Er zeigt, dass nicht nur
das beabsichtigte Opfer dem Willen der Götter widerstreite,
dass auch, da treue Liebe zwei von Göttern stammende
Wesen vereint, der alte Frevel nun gesühnt und der Orakel-
spruch erfüllt sei. Myrtill und Amaryllis werden vermählt.
Indessen hat Silvio, in der Meinung, ein Wild zu treffen,
die ihn liebende, aber von ihm zurückgewiesene Dorinda
mit einem Pfeile tödtlich verwundet. Mitleid und Theil-
nahme bei des Mädchens schmerzlichem Leiden erweichen
sein kaltes Herz und bewegen es zur Liebe. Dorinda wird
gerettet und seine Gattin. Die listige und ränkevolle Co-
risca, deren Intriguen den Gang des Schicksals nicht zu
ändern vermochten, gesteht den Liebespaaren ihr begange-
nes Unrecht und ihre Falschheiten ein, erhält Verzeihung
und verspricht, sich zu bessern. Froher Chorgesang be-
schliesst das Spiel.
Paar, beglückt zu preisen,
Du sätest Thränen, erntest Lust im Herzen;
Wie manche herbe Schmerzen
Trugst du, die deiner Liebe Glück erhöhen.
Ihr mögt daraus ersehen,
Verblendete, zu weichliche Gemüther,
Was wahre Uebel sind und ächte Güter.
- 61 -
Nicht jede Lust ergötzet,
Nicht jedes Leid verletzet,
Das sind die wahren Freuden,
Die aus der Tugend keimen nach dem Leiden.
(H. Müller.)
Guarini, der die schon von Tasso und andern Vor-
gängern gewonnene Kunstform zu noch grösserm Beichthum
zu entfalten strebte und in Wahrheit auch ein vom Geiste
des Alterthums durchdrungenes, selbst in der Form grosses
und edles Werk geschaffen hat, erscheint trotz aller An-
klänge an Tasso von ihm doch durch eine andere Welt-
anschauung völlig geschieden. "Während dieser auf der Seite
ersehnter und erträumter Natürlichkeit steht, das Schäfer-
leben ihm ein unschuldiger, aber edler und reiner Natur-
zustand, die Liebe Mittelpunkt aller Freuden desselben, die
Sitte noch nicht herausgebildet, gleichsam nur noch in den
Herzen ruhend, ist, tritt bei Guarini bereits sittlich und
unsittlich in bestimmten Gegensatz; die Ehe ist im „Pastor
fido" ein göttliches Gesetz, die Treue steht unter dem un-
mittelbaren Schutze der Götter. Nicht in die Natürlichkeit,
sondern in die vollendete Sittlichkeit wird von ihm der
Vorzug des goldenen Zeitalters gesetzt. Allerdings wandelt
er im Verfolge dieser Ideen die Höfe in Schäferhütten um,
gibt er den Charakteren seiner Dichtung Leidenschaften
und Sitten der Antichambres, lässt er seine Arkadier in ra-
finirten Kabinetsintriguen sich bewegen. Aus dem Munde
von Hirten gehen verwickelte Vorschriften für Anordnung
politischer Weltverhältnisse, aus dem liebender Schäferinnen
spitzfindige Probleme hervor; nichts erscheint an ihnen schä-
ferlich, als Stab und Schleuder.*) Was nun die musikalische
*) Wie Tasso's „Aminta" ward auch Guarini's „Pastor fido" mit
Begierde von Jedermann gelesen. Noch bei Lebzeiten des Dichters, der
sich in der Person des Garino selbst gezeichnet haben soll, ward er 48
Mal neu aufgelegt und in alle Sprachen, selbst in das Illyrische, Per-
— 62 —
Behandlung anlangt, so beruht deren Schwerpunkt wiederum
/nur auf Chorgesängen, die aber durch Mannigfaltigkeit —
es treten Chöre der Hirten, Jäger, Nymphen und Priester
auf — sich bereits vortheilhaft von einander abheben. Im
steche und Indische übersetzt Schlegel in seinen dramatischen Vor-
lesungen fällt über Tasso's und Guarini's Schaferspiele folgendes rühm-
liche Urtheil: „Epoche machen die Schäferspiele beider, die nach der
Mitte des 16. Jahrhunderts fallen und in denen die Darstellung zwar
grösstenteils nicht tragisch, aber doch edel, ja idealisch ist. Auch sind
sind sie mit hinreissend schönen Chören ausgestattet, die nur freilich
wie lyrische Stimmen in der Luft, schweben, die nicht persönlich er-
scheinen, noch weniger als beständige Zeugen der Handlung nach wahr-
scheinlichen Bestimmungen herbeigeführt sind. Für das Theater waren
diese Kompositionen allerdings bestimmt: sie sind mit festlicher Pracht
und, wir dürfen vermuthen, in edlem Kunstgeschmack zu Ferrara und
Turin aufgeführt worden. Allein dies gibt uns eben einen Begriff von
der damaligen Kindheit des Theaters: wiewohl Verwicklung und Auf-
lösung im Ganzen ist, steht doch die Handlung in den einzelnen Scenen
still und lässt auf Zuschauer schKessen, die an theatralische Ergötzun-
gen wenig gewöhnt, folglich genügsam .waren und die ruhige Entfaltung
schöner Poesie ohne dramatischen Fortschritt mit Geduld abwarteten.
Der „Pastor fido" insbesondere ist eine unnachahmliche Hervorbringung:
originell und doch klassisch; romantisch durch den Geist der dargestell-
ten Liebe ; in den Formen mit dem grossen einfachen Gepräge des klas-
sischen Alterthums bezeichnet; neben den süssen Tändeleien der Poesie
voll von hoher, keuscher Schönheit des Gefühls. Keinem Dichter ist es
wohl so gelungen, die moderne und antike Eigentümlichkeit zu ver-
schmelzen. Für. das Wesen der alten Tragödie zeigt Guarini tiefen Sinn,
denn die Idee des Schicksals beseelt die Grundlage seines Stückes und
die Hauptcharaktere kann man idealisch nennen ; er hat zwar auch Kar-
rikaturen eingemischt und die Komposition deswegen Tragikomödie ge-
nannt: allein sie sind es nur durch ihre Gesinnungen, nicht durch den
Unadel der äussern Sitten, gerade wie die alte Tragödie selbst den unter-
geordneten Personen, Sklaven und Boten, ihren Antheil an der allge-
meinen Würde leiht." — Giov. Batt. Guarini, einer um die Kultur der
Wissenschaften hochverdienten edlen Familie entsprossen, ward 1537 in
Ferrara geboren und starb in Venedig, wohin den in unendliche Pro-
zesse Verwickelten Rechtsstreitigkeiten gerufen hatten, 7. Oktober 1612.
Der „Pastor fido" erschien 10 Jahre nach dem Aminta 1590 in Venedig.
63
Allgemeinen beschliessen betrachtende Cborgesänge jeden der
fünf Akte. Aber in der zweiten Scene des dritten Aktes, in
. der dritten und sechsten des vierten, in der dritten, vierten
und neunten des fünften Aktes greifen die verschiedenen
Chöre schon thätig in die Handlung ein, so das weit ge-
dehnte, wort- und versreiche Gedicht angenehm belebend.
Es mag hier die liebliche, wechselvolle Scene folgen, in der
Amaryllis mit ihren Freudinnen das Blindekuhspiel beginnt
und die durchtriebene Corisca diese Gelegenheit ergreift,
den zagenden Myrtill der haschenden Amaryllis in die Arme
zu führen, wodurch die Schürzung des Knotens, auf dem
die ganze Handlung beruht, veranlasst wird.*)
Dritter Akt, zweite Scene.
Amaryllis, Chor der Nymphen, Myrtill (bei Seite), Corisca (im Hinter-
grunde).
Amaryllis: Seht da die Blinde!
Myrtill: Seht sie, Entzücken!
Amaryllis: Was weilt ihr noch?
Myrtill: Töne, die verwunden,
Und heilen in Sekunden!
Amaryllis: Wo seid ihr, und was macht ihr? Du, Lisetta,
Die so verlangt hat nach dem Spiel der Blinden!
Was zögerst du? wo bist du hin, Corisca?
*) Die Art, wie der Dichter in dieser Scene mit dem Tonsetzer
sich zu verstandigen suchte, ist interessant genug, um erwähnt zu werden.
Der auf der Bühne erscheinende Chor bestand nur aus Tänzerinnen,
hinter ihnen erst waren die Singstimmen aufgestellt. Guarini gab einem
geschickten Tanzmeister die Bewegungen, die bei dem Spiele vorkommen
sollten und suchte dann in einer Zeichnung ihm zu veranschaulichen,
wie diese zu einem scheinbar ungeordneten, dennoch aber anmuthigen,
kunstreichen Tanze sich vereinigen Hessen. Diesen Schritten und Figu-
ren sich genau anschliessend, setzte ein ausgezeichneter Tonkünstler
Ferrara's, Luzzasco, Hofkonzertmeister und Organist des Herzogs AI-
fons II., die Musik zum Tanze und dieser erst legte der Dichter die
durch wechselndes Mass vorzüglich ausgezeichneten Verse seiner Chöre
unter. Leider ist diese merkwürdige Musik verloren gegangen.
— 64 -
Myrtfll: Wohl kann man jetzo Bagen,
Die Lieb* ist blind und hat verbundene Augen.
Amaryllis: Hört an und merkt, ihr Beiden,
Die ihr den Weg mir weist, und hier und dorten
Mich haltet bei der Hand, indess sich uns're
Gespielinnen versammeln 1
Führt erst mich weit hinweg von diesen Sträuchen,
Wo grösserer freier Baum ist: in der Mitte
Lasst mich allein da stehen,
Und geht zur Schaar der Andern; all' zusammen
Schliesst einen Kreis dann, und das Spiel beginne.
Myrtill: Was wird aus mir hierbei? Ich kann nicht sehen
Bis jetzt, was für ein Vortheil zu erwarten
Von diesem Spiel sei, meinen Wunsch zu stillen;
Noch zeigt sich mir Corisca,
Mein Angelstern. Der Himmel sei mir günstig.
Amaryllis: Nun, kommt ihr endlich. Dachtet ihr nichts andres
Zu thun, als mir die Augen zu verbinden,
Thörinnen, die ihr seid? Lasst uns beginnen.
Chor (singt): Blind, o Liebe! willst du scheinen,
Und machst nur blind die Deinen
Für nahe Beue,
Denn mehr als das Gesicht, fehlt dir die Treue.
Sehend, blind, ich will dich fliehen,
Und dir mich entziehen,
Die Stelle tauschen,
Denn, auch so blind, kannst du wie Argos lauschen.
Hast du mich so blind betrogen,
Und blind in's Netz gezogen,
Nun ich entsprungen,
War' ich wohl thöricht, wenn dir's noch gelungen.
Flieh' und scherze nach Gefallen,
Wird keine doch von allen
Dir ferner glauben,
Weil deine Scherze wild das Leben rauben.
Amaryllis: Ihr spielt auch allzusehr von Weitem, hütet
Zu sehr euch vor Gefahren.
Man muss wohl fliehn, allein zuvor doch treffen.
Berührt mich, nähert euch, und nicht für immer
Sollt ihr so frei entkommen.
- 65 -
Myrtill: Was seh' ich und wo bin ich, hohe Götter?
Im Himmel? auf der Erde? Habt ihr, Himmel,
In euren ew'gen Kreisen
So süsse Harmonie? Steh'n eure Sterne
So hold im Gegenscheine?
Chor (singt)': Aber du, treuloser Blinder,
Rufst mich zum Spiel nicht minder.
So sieh* mich spielen,
Mit Füssen flieh'n, mit Händen nach dir zielen,
Und laufen und dich treffen,
Bald hier, bald da dich äffen,
Dass rings umher du schweifest,
Und doch mich nie ergreifest,
blinde Liebe,
Denn frei sind meine Triebe.
Amaryllis: Bei meiner Treu', Lycoris!
Ich dacht', ich finge dich, und merk', ich habe
Nur einen Strauch gefangen.
Ich höre wohl dich lachen.
Myrtill: Dass ich der Strauch doch wäre!
Seh' ich nicht dort Corisca
Verborgen im Gebüsch? Sie ist es selber
Und scheint mir zuzuwinken,
Ich weiss nicht was, doch winkt sie immer wieder.
Chor (singt): Freies Herz gibt flücht'ge Füsse:
Schmeichler, deine Süsse,
Dein falsch' Vergnügen,
Soll es mich wieder locken, mich betrügen?
Doch kehr' ich um, und wage,
Und kreis' und flieh' und schlage,
Und weiss dir zu entweichen,
Du kannst mich nicht erreichen,
falsche Liebe,
Denn frei sind meine Triebe.
Amaryllis: Verwünschter Strauch, o wärst du ausgerissen!
Muss ich dich wieder greifen!
Zwar scheinst du mir ein andrer jetzt beim Tappen,
Glaubt' ich etwa nicht sicher,
Ich hätte diesesmal dich schon, Elisa?
ö
— 66 -
Myrtill: Noch immtyr hört Corisca
Nicht mir zu winken auf, und so unwillig,
Dpss sie zu drohen scheint. Verlangt sie etwa,
Ich soll mich unter diese Nymphen mischen?
Amaryllis: Soll ich denn heut' beständig
Nur mit den Sträuchen spielen?
Corisca: Wohl muss ich wider meinen Willen reden
Und aus dem Winkel treten.
Muthloser, fang' sie! Worauf willst du warten?
Dass sie dir selber in die Arme laufe?
Lass wenigstens dich fangen! Gib indessen
Den Wurfspiess mir und geh' ihr, "Thor, entgegen.
Myrtill: wie so übel stimmen
Der Muth und das Verlangen!
So wenig wagt das Herz, das so viel wünschet!
Amaryllis: Für diesmal mag sich noch das Spiel erneuern,
Denn ich bin müde schon; ihr lasst auch wahrlich
Zu unbescheiden mich so lange laufen.
Chor (singt): Jene Gottheit, siegbekrönet,
Der alle Welt gefröhnet,
Tribut getragen,
Seht heute sie verlacht, seht sie geschlagen!
Wie sich vom Tag erhellet
Die blinde Eule stellet,
Wenn Vögel sie in Schwärmen
Bekriegen und umlärmen,
Und sie will hacken
Mit ihrem Schnabel, duckt und streckt den Nacken:
So wollen wir dich necken,
Lieb', an allen Ecken;
Der Rücken, wie die Wangen
Muss Stich und Schlag empfangen,
Und nicht gelingen
Soll Krallen strecken oder Flügel schwingen.
(Myrtill wird von Corisca der Amaryllis entgegengestossen und von dieser
gefangen. Der Chor der Nymphen zerstreut sich, singend:)
Süsses Spiel hat bitt're Ruthen.
Da muss denn bluten
Der Vogel für sein Naschen;
Wer mit der Liebe scherzt, den wird sie haschen.
(A. W. Schlegel.)
- 67 -
Während der achtziger Jahre des 16. Jahrhunderts
wohnte in Florenz ein angesehener Edelmann : Signor Gio-
vanni Bardi, aus dem gräflichen Hause Vernio, 1592,
nach der Thronbesteigung Clemens VIII. (seither Kardinal
Hippolyt Aldobrandini) Maestro di Camera und besonderer
Liebling dieses Papstes. Dieser vortreffliche Kavalier —
Kunstfreund, Kunstkenner, Mathematiker und Philolog —
ward dem Studium des Alterthums und der Musik so lei-
denschaftlich ergeben, dass er von seinen Zeitgenossen zu-
letzt sogar auch als ein guter und korrekter Tonsetzer ge-
schätzt wurde. Sein Palast war der beständige Versamm-
lungsort aller Personen von Talent und eine Art blühender
Akademie, wo jüngere Leute vom Adel sich trafen, um
ihre Musestunden in löblichen Uebungen und Gesprächen
zu verbringen. Vorzüglich bildete Musik den Gegenstand
der Unterhaltungen und Untersuchungen.*) Alle Theilneh-
*) „Man ward allmählig einig darüber, dass die neuere Musik an
Anmuth und im Ausdruck der Worte sehr mangelhaft, der vielstimmige
Kontrapunkt vorzugsweise der Feind und Verderber der Poesie sei und
dass man, um diesen Missstanden abzuhelfen, irgend eine Art von Can-
tilene versuchen müsse, bei der die Worte nicht unverständlich, die
Verse nicht zerstört würden." (Doni.)
„Wie die Seele edler als der Körper, sind auch die Worte edler
als der Kontrapunkt. Der göttliche Cypriano (di Rore) hat dies gegen
Ende seines Lebens auch eingesehen und war mit aller Macht bestrebt,
Verse und Worte der Madrigale deutlich zu Gehör gelangen zu lassen.
Hätte er länger gelebt, er hätte die Musik so vervollkommnet, dass An-
dere mit Leichtigkeit es zur wahren und vollendeten Kunst der Alten
gebracht haben würden. Dem Sinne der Dichtung muss Charakter und
Tonart entsprechen. Der Sänger soll vor Allem deutlich und sprachgemäss
singen und seinen Gesang mit der grössten Anmuth und Süssigkeit aus-
führen, denn die Musik ist nichts anderes als Süssigkeit; wer gut singen
will, muss die süsseste Musik und die süssesten, wohlgeordneten Weisen
auf das Süsseste vortragen. Beim Zusammensingen soll einer dem andern
sich anpassen, damit sie einen Körper bilden; hat auch der Solist mehr
Freiheit, in der Hauptsache gelten auch für ifin obige Regeln."
(Bardi.)
-' 68 -
mer der Gesellschaft beseelte der gleiche Wunsch: die wun-
derbare Kunst der Alten wieder aufzufinden. Zierden dieses
Kreises waren, ausser dem schon genannten Cavalieri,
den Musikern Peri und Caccini (alle drei gute Musiker
! und Sänger, aber unbedeutende Kontrapunktisten) und dem
I Dichter Rinuccini, die als musikalische Schriftsteller ge-
\ schätzten Vincenzo Galilei, Vater des berühmten Astro-
nomen, und die Herren Pietro Strozzi und Girolamo
Mei. Unter diesen unternahm es zuerst der scharfsinnige
und vielseitige Galilei, einstimmige Gesänge zu setzen. Er
komponirte und sang selbst zur Begleitung einer Viola die
grosse Scene des Grafen Ugolino aus Dante's göttlicher
Komödie. Ebenso versuchte er sich an Fragmenten aus
den Klageliedern Jeremiä. Gab es nun auch solche, die
seine Bestrebungen verlachten und verspotteten, so gab es
doch auch Andere, die seinen Versuchen reichen Beifall
zollten. Zu letzteren gehörte namentlich der Sänger Giulio
Caccini, ein feiner, unterrichteter Mann, schon seit 1564
(1578?) in Diensten des florentinischen Hofes und bereits
1579 bei den gelegentlich der Vermählung und Krönung Bianca
Capello's veranstalteten Festspielen rühmlich beschäftigt. Er
begann Sonette und Canzonen der vortrefflichsten Dichter
mit grossem Eifer in Musik zu setzen und diese Solo-
gesänge dem hochgebildeten Kreise von Kennern und Lieb-
habern im Palaste Bardi unter Begleitung einer Theorbe
oder grossen Laute, welche Instrumente von dem damals
zufällig in Florenz anwesenden berühmten Virtuosen Bar-
dilla vorzüglich gespielt wurden, vorzusingen. Ihm gebührt
/ zunächst das Verdienst, die neue anmuthige Singart auf-
gefunden, nach künstlerischen Gesetzen festgestellt und
zuerst Gesänge für eine einzelne Stimme veröffentlicht zu
| haben.*) Zur selben Zeit beschäftigte diese allgemein so
*) Giulio Caccini, um 1560 in Rom geboren (daher auch
Giulio Romano genannt), von Scipione della Palla im Gesang und Lauten-
- 69 —
lebhaftes Interesse erweckende Angelegenheit auch fast aus-
schliesslich den als Tonsetzer, Sänger und Instrumentalisten
gleich ausgezeichneten Jacopo Peri. Wie jener arbeitete
auch er mit Fleiss und Enthusiasmus an der Vervollkomm-
nung der neuen Singweise. Nach Bardi's Weggang von
Florenz wurde Signor Jacopö Corsi der Patron der Musik
und ihrer Professori. Mit Ottavio Rinuccini, welcher
wenige Jahre nach dem Erscheinen des „Pastor fido", der
bei allen seinen lyrischen Schönheiten doch nicht geeignet
war, eine Bühne zu gründen, diejenige Form und Gattung
des Drama's erfand, die, dem Sinne der Nation zumeist
zusagend, fortan auf lange Zeit fast allein die Bretter be- #
herrschte, verband ihn längst die innigste Freundschaft.
- Caccini und Peri wurden die Komponisten der neuen
bahnbrechenden Werke.
Die ersten im Stilo rappresentativo, parlante oder re- '
eitativo verfassten Opern*) waren (neben dem fast gleich-
zeitig komponirten, später näher zu betrachtenden Werke:
„delV anima e del corpo" des Cavalieri) „Dafne", 1594, /
mit einem Orchester von sechs Instrumenten im Hause
spiel unterrichtet, starb vor 1640. Seine Tochter und Schülerin, Fran-
cesca (um 1582 in Florenz geboren), an Sig. Malaspina vermählt, gleich-
berühmt als Sängerin wie als Tonsetzerin, komponirte die Opern: „la
liberazüme di Bug gier o dalV isola d'Älcma" (gedruckt 1625) und „Bi~
näldo mamorato".
«
*) Die Benennung „Oper" als Bezeichnung des durchaus musika-
lischen Drama's wurde als konventioneller Kunstausdruck, obwohl er in
der Umgangssprache früher schon üblich gewesen sein mag, erst später
angenommen. Es ist nicht zu bestimmen, wann und wo dieser Käme,
der sich zuerst bei P. Menestrier, in dessen: des representations en
musique, anciennes et modernes. Paris 1681" findet, aufgekommen sein
mag. Noch bis in's 18. Jahrhundert hinein lauten die Überschriften der
Textbücher und Partituren: Tragedia, Melodrama, Tragicomedia , wie
sich denn auch noch neuere Libretti's betitelt finden: Tragedia lirica,
Dramma per musica, Dramma semiseria, Dramma giocoso, Dramma
ouffo u. s. w.
— 70 —
Corsi's, in Anwesenheit der Grossherzogin Christine u&d
unter dem lebhaftesten Beifalle der Zuhörer zum ersten
Male aufgeführt, und „Euridice", 1600 zur Feier der fest-
lichen Vermählung des allerohristlichsten Königs Heinrich IV.
von Frankreich und Navarra mit Maria von Medici (Tochter
des unglücklichen Grossherzogs Franz uud Nichte des re-
gierenden Fürsten Ferdinand I.) erfolgreichst vor einer aus
allen Theilen Italiens und Frankreichs zusammengeströmten,
der damals denkbar feinsten und gebildetsten Hörerschaft,
dargestellt. Nach den unklaren, dunklen Ansichten, die in
dieser Zeit über die Musik und ihre Verwendung im Drama
der Griechen in den Köpfen spuckten, wähnte man, die Alten
hätten sich einer Betonung bedient, die, über die gewöhnliche
Rede zwar hinausgehend, sich doch zur Melodie nicht völlig
erhob, vielmehr zwischen raschem Sprechen und getrage-
/ 1 nem Gesänge die Mitte gehalten habe. Daher richteten die
| Tonsetzer die begleitende Bassstimme so ein, dass sie nur
■ bei lebhaften Accenten mit der Singstimme harmonisch zu-
sammentraf, bei nichtbetonten Stellen aber ruhig fortklang.
Das Wohlgefallen und Staunen, welche das neue Schauspiel
- mit seiner ganz eigenartigen Musik in den Gemüthern der
Zuschauer erregte, lässt sich nicht beschreiben. Stundenlang
konnte man diesem Gesänge lauschen und so oft er »auch
wiederholt werden mochte, immer rief er die gleiche Be-
wunderung und neues Vergnügen hervor. Nach der allge-
meinen Meinung ward jetzt wirklich der so bewunderns-
würdige Styl der Alten, soweit moderne Sprache und Ton-
kunst es zuliessen, aufgefunden. Was man aber in Wahr-
heit entdeckt hatte, war nicht der süsse, verständliche und
anmuthige Sologesang, den Bardi als Ziel aller musikali-
schen Bestrebungen hingestellt hatte, es waren die Anfänge
dramatischer Recitation, das einfache Recitativ. Eine viele
Stunden dauernde, nur aus Recitativen zusammengesetzte
| Opernvorstellung, die heute das kunstsinnigste und gedul-
I
- n -
digste Publikum der Welt in Desperatibn bringen würde,
konnte im Jahre 1600 höchstes Entzücken erregen. Mit
Ausnahme von kurzen, einfachen Chören findet sich in den
ersten Opern keine Spur von Cantilenen, Arien oder En-
semblestücken.
Ehe* ich nun auf die vorstehend genannten Opern
näher eingehe, sei es mir vergönnt, die Aufmerksamkeit
dem Dichter derselben kurz zuzuwenden. Ottavio Rinuc-
cini (geb. 1564), aus einer angesehenen und auch bereits
literarisch bekannten florentinischen Familie stammend, hat
in seinem Zeitgenossen Erythraeus (Gio. Vit. de Rossi)
einen beredten Biographen gefunden. Dieser sagt : „Die alte,
viele Jahrhunderte lang abgekommene Art, Komödien und
Tragödien auf der Scene zu Flöten- und Saitenspiel zu sin-
gen, hat zum grossen Theil 0. Rinuccini, ein edler floren-
tinischer Dichter, wieder in's Leben gerufen, obgleich E.
Cavalieri, ein römischer Patrizier und kunstfertiger Musiker,
der vor wenig Jahren einige Dramen in Musik gesetzt und
von musikalischen Schauspielern hat aufführen lassen, sich
diesen Ruhm ebenfalls zuzueignen strebt. Aber sowohl in
Betreff des Inhalts der Stücke, als in Bezug auf den soeni-
schen Apparat und die Vorzüglichkeit der Darsteller, steht
der Glanz des Ottavio dem Lobe des Emilio so im Lichte,
dass jener wohl allein die Ehre beanspruchen darf, diese
längst abgekommene Art wieder belebt zu haben. Denn
nachdem er den J. Peri und andere ausgezeichnete Ton-
künstler seinem Sinne gemäss erlangt, hat er vier ganz
ausgezeichnete, nach Wort und Sentenz weit hervorragende
Stücke unter dem grossen Beifall ganz Italiens gegeben:
die „Dafne", „Euridice", „Aretusa" und „Ariadne". An
der Klage der letzteren, nachdem sie von Theseus ver-
lassen, wollte, wegen ihrer besondern Trefflichkeit, jeder
bedeutendere Tonsetzer Italiens seine Kunst versuchen. Ri-
nuccini wusste seinen Gegenstand stets reich und geschickt
. ■ - 72 -
in wohltön^uden und durchsichtigen Versen zu entwickeln.
Er war von einnehmender Gestalt, etwas über Mittelgrösse,
aber proportionirt; offenen Gesichts,* mit einem kleinen
Munde, in dem viel Würde lag. Auf solche Gaben des
Körpers und Geistes, sowie auf die Eleganz seiner Verse
vertrauend, ging er den durch Geburt und Schönheit her-
vorstrahlenden Weibern nach und suchte sich ihren Willen
geneigt zu machen. Auf die Maria v. Medici, Königin von
Frankreich, hatte er, eben so ehrgeizig als eitel, seine ver-
liebte Neigung ganz besonders gerichtet und folgte ihr auch
ehrenhalber, als sie Italien verliess. Der gute König Hein-
rich machte den geistvollen, feurigen, im Irrgarten der Liebe
unstät umhergetriebenen Kavalier zu seinem Gentilhomme
de la chambre. Rinuccini's Anwesenheit in Frankreich trug
viel dazu bei, den Geschmack an der Oper und andern
| | italienischen Schauspielen nach diesem Lande zu verpflan-
l \ zen. Nach mehrjähriger Abwesenheit 1603 nach Florenz
zurückgekehrt, ging er endlich, die verliebten Possen, wozu
er bisher absonderlich geneigt, aufgebend, in sich. Was
ihn der Verstand früher nicht hatte erkennen lassen, warf
er aus Verdruss jetzt weit weg, verachtete er nun, seinen
Geist gänzlich auf ernste Studien und die Liebe und An-
eignung der Frömmigkeit richtend, aus Erfahrung, In diesen
Gesinnungen ist er denn auch, 1619, in frommer Abgeschie-
denheit vom Geräusche der grossen Welt, verstorben." Er
schied aus dem Leben, bevor eine von ihm beabsichtigte
Ausgabe seiner sämmtlichen Gedichte (in dankbarer Ver-
ehrung seinem königlichen Wohlthäter Ludwig XIII. ge-
widmet, erst 1622 [Canzonette. 4*°- Fir.] von seinem Sohne
Francesco vollendet) zu Stande gekommen war. Den Schluss
dieser Sammlung, seine Dramen, seine Poesien an Maria
und Heinrich und anakreontische, durch Leichtigkeit und
Naivetät ausgezeichnete Lieder enthaltend, bilden Verse re-
ligiösen Inhalts, zumeist an die Jungfrau Maria gerichtet,
- 73 —
aber nicht minder glühend und leidenschaftlich, wie die an
die Königin adressirten.
Die von Peri, ohne Rücksicht auf die Bis dahin ge-
hörte Art des Gesanges komponirte „Dafiie", ist wohl nur
eine Umarbeitung des 1589 gegebenen Intermezzo's «• ■ „ü
combattimento ffAppoline" (der Kampf des Apollo). Diese
Partitur Peri's ist leider verloren gegangen.
Den Text erbat sich der mit dem mediceischen Hofe
befreundete Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen. Mar-
tin Opitz von Boberfeld, der bedeutendste unter den
deutschen Dichtern damaliger Zeit, übersetzte ihn, wenn
auch mit vielen Kürzungen, und der berühmte kurfürst-
liche Kapellmeister Heinrich Schütz (1585—1672), der
von 1609 — 1612 seine Studien bei J. Gabriel! in Venedig
gemacht und dort schon die neuen musikalischen Schauspiele
kennen gelernt hatte, komponirte ihn. So wurde Binuccini's
„Dafiie" auch die erste Oper, die in Deutschland zur Auf-
führung kam und zwar geschah dies gelegentlich der Ver-
mählung des Landgrafen Georg II. von Hessen -Darmstadt
mit Sophie Eleonore von Sachsen, 13. April 1627, im Tafel-
saale des Schlosses Hartenfels in Torgau mit grossem Er-
folge.*)
Der Text der „Dafne", obwohl allen Pomp italieni-
scher Hoipoesie zur Schau tragend, ist nur von geringem
Umfange; die Zahl der Personen (Dafne, Apollo, Venus,
Kupido, ein Bote, Nymphen und Hirten) auf wenige be-
schränkt. Jeder Akt wird mit einem Chore, der letzte mit
Chor und Ballet beschlossen. Ovid als Prolog, seine Meta-
morphosen und Ars amandi rühmend, leitet mit einigen
Strophen die sehr einfache Handlung eiü, indem er der
*) Auch „Orpheo und Euridice" nach einer Umdichtung A. Buch-
ner's ward von Schütz komponirt und am 20. November 1638 bei der
Vermählung Kurf. Joh. Georg II. mit Magd. Sybilla von Brandenburg-
Bayreuth im Riesensaale des Schlosses zu Dresden aufgeführt.
- 74 —
anwesenden Grossherzogin ein Kompliment macht und das
Publikum auf das Schauspiel vorbereitet, welches die Lehre
ertheilt: Liebe nicht zu missachten. Ein grimmes Unge-
heuer verwüstet Delos; den klagenden, furchtsamen Hirten,
Zeus um Hilfe anflehend, erscheint Apollo, der die Schlange
tödtet, als Retter. Da er Kupido's Macht verspottet, ent-
zündet dieser in ihm eine heftige Leidenschaft zur schönen
Jägerin Dafne, die er nun vergebens durch seine Bewer-
bungen zu rühren sucht. Kupido triumphirt. Als Apollo
dringender wird, bittet Dafne ihren Vater Peneus, sie als
eine reine Jungfrau hinwegzunehmen, worauf sie in einen
Lorbeerbaum verwandelt wird. Apollo, sein Schicksal be-
weinend, segnet denselben und bestimmt, dass seine immer
grünenden, dem Donnerkeil unerreichbaren Blätter ihm
selbst nun die goldenen Locken, fortan aber das Haupt
ajler sieghaften Helden und Künstler zieren sollen. Je-
doch nicht * in diesen Schlussworten liegt die Bedeutung
der Fabelnder Chor der Nymphen singt: „Freue dich deiner
edlen Gaben, o flüchtige Nymphe, ich beneide dir sie nicht :
wenn Amors goldner Pfeil mich trifft, will ich nicht wider
den Gott kämpfen; wende ich stolz und spröde mich zur
Flucht vor einem wahren Liebenden, so möge mein goldnes
Haar nicht Lorbeer werden, sondern irgend elendestes Kraut,
verächtliches Rohr, das die unreine Heerde zerstampfe, ge-
meines Heu, das der Stiere gierigen Hunger stille. Aber
dann, o holder Amor, lass meine Glut auch nicht verachtet
sein; vor dem Feuer meiner Augen möge alle Härte er-
weichen, alle Kälte erwarmen." Liebe also ist der mäch-
tige Hebel, der von der ersten Operndichtung an die
ganze moderne Dramatik in Bewegung setzt. Als Textprobe
• der „Dafne" mag die erste Scene hier folgen. Sie bietet
/ im Wechselgesang der Hirten eine damals beliebte, nicht
* reizlose, von vielen Tonkünstlern mit Vorliebe behandelte
Spielerei mit einem Echo.
T= 7S rr,
1. Hirt: In jenem dunklen Schattengrand
Birgt sich das grimme Thier zur Stund*.
Ihr Hirten weicht und nicht bewegt
Das Laub, dass kein Geräusch sich regt.
2. Hirt: So müssen wir die grünen Felder meiden,
Wir können ohne bange Furcht
Die Heerden nicht mehr weiden.
Nymphe : Und wenn wir je durch diese Auen
Nach Laub und Blumen geh'n,
Unglückliche Jungfrauen,
Es kann nicht ohne Angst gescheh'n.
Tirsis: ew'ger Zeus, mit deiner Blitze Pfeilen
Erschütterst du den Himmel und das Land.
Lass Donner rollen und mit mächt'ger Hand
Wirf Glut hernieder, rett' uns ohn' Verweilen 1
Hirt: Sieh' vom Himmel, sieh!
Wüste Felder, öde Räume,
Trockne Flüsse, dürre Bäume, —
Sieh' vom Himmel, sieh'!
Unter bittrer Thranen Lauf
Heben Hirten, heben Nymphen
Ihre Hände flehend zu dir auf.
Hirt u. Chor : Kann in jenen gold'nen Höhen
Je ein Herz Erbarmung finden?
|: Höre unser bittend' Flehen,
Himmels Herr, hilf überwinden!
Als einst wüthend wilde Schaar
Ossa auf Olympos thürmte,
Schmetterte dein Blitz darnieder
Jene Rotte, welche stürmte.
|: Höre unser bittend 9 Flehen,
Himmels Herr, hilf überwinden!
Deine allgewaltige Hand
Bitten wir dich hinzukehren
Nach dem Drachen, der das Land
Droht zerstörend zu verheeren,
|: Höre unser bittend* Flehen,
Himmels Herr, hilf überwinden]
- 76 ~
Dass das grause Gift vergehe,
Von uns weiche die Gefahr,
Grün die Flur uns neu erstehe,
Hell der Himmel werde, wie er war.
j: Höre unser bittend' Flehen,
Himmels Herr, hilf überwinden! :|
1. Hirt: Wo fänden heut wir eine ruh'ge Stunde,
Das grimme Ungethüm droht unserm Leben?
2. Hirt: Das gier'ge Thier liegt dort im dunklen Grunde,
Wir müssen stets in Angst und Sorge schweben.
Echo: Eben.
1. Hirt: War' ich in Sicherheit! war' es anderm Ort!
Echo: Fort.
2. Hirt: Ach, kehrt es wieder unter diese Leute?
Echo: Heute.
1. Hirt: Weh' mir! wer schützt dann mich?
Echo: Ich.
2. Hirt: Wer bist du, der verheisset solche Wonne?
Echo: Sonne.
1. Hirt: Die Sonn'? Apollo, hör' ich dich?
Echo: Mich.
2. Hirt: Du hast den Köcher und den Pfeil.
Echo: Heil.
Chor: So sende, sende du den Pfeil,
Tödte den Drachen, bring' uns Heil!
(Der Drache kommt von der einen, Apollo von der andern Seite.)
Chor: Weh' uns, die Schlange kommt — Apollo, nah' dich schnelle,
Mit Himmelskraft besieg' das Ungethüm der Hölle.
segensreicher Pfeil! seht da das Blut!
Dem edlen Schützen Heil!
Welch' grauses Thier! noch sinkt ihm nicht der Muth;
Entsende neuen Pfeil dem mächt'gen Bogen,
Durchbohr' den Rücken ihm, der schuppendicht umzogen,
Triff es in's Herz, in dem sein Leben ruht.
Per Drache wird getödtet.)
Vollendeter nach Poesie wie Musik erscheint Rinuc-
cini's zweite Dichtung: „Euridice", Tragedia per musica.
- 77 -
Sie gilt hinsichtlich ihres rhythmischen Baues und poetischen
Werthes, der Schönheit ihrer Sprache und der geschickten
Anordnung ihrer Scenen nicht nur als sein bestes Werk,
sondern überhaupt als eines der vorzüglichsten aller altern
und neuern Textbücher. In der ganzen Anlage der Chor-
gesänge ist hier Binuccini offenbar bestrebt, etwas den
Strophen, Antistrophen und Absätzen des griechischen Cho-
res Aehnliches darzustellen, Gesang der Chorführer, ein-
zelner Stimmen oder Abtheilungen des Chors, wechseln in
den Buhepunkten der Handlung mit vollen Chorgesängen.
Der Chor verlässt, mit Ausnahme der Scene in der Unter-
welt, wo dagegen ein Chor unterirdischer Geister eintritt,
die Bühne nicht. So in der äussern Erscheinung der An-
tike sich anschliessend, hat der Dichter auch dem Inhalte
der Chorgesänge tiefere Bedeutung zu geben versucht; er
fand diese wiederum in der Liebe und ihrem Preise. Der
mehrjährige Zwischenraum, der „Dafhe" und „Euridice"
trennt, wird auch den strebsamen Künstlern Caccini und
Peri, die sich an deren Komposition betheiligten, nicht un-
genützt verstrichen sein. Zudem musste die feierliche Ver-
anlassung, gelegentlich der sie nun berufen waren, mit ihren
Kunstleistungen vor ein in solcher Auswahl selten versam-
meltes, hochgebildetes Publikum zu treten, ihren Ehrgeiz
und ihr schöpferisches Vermögen aufs äusserste anspornen.
Als Prolog erscheint in „Euridice" die Tragödie, in sieben
vierzeiligen Versen bemerkend, sie komme nicht, die Ge-
müther zu erschüttern und in traurigen Scenen eine un-
selige Handlung zu entrollen, sondern:
Mein Sang wird heut auf heitern Saiten
Den edlen Herzen süsse Lust bereiten.
Dann naht ein Chor von Schäfern und Schäferinnen.
Ein Hirte fordert zu Lust und Gesang auf, denn heute
verbände sich höchste Schönheit mit edelster Männlichkeit;
ein gleiches Liebespaar sah nie die Sonne. Euridice tritt
- 78 -
auf, sich an den Bussen Gegangen und Liebesreden er-
-freuend. Heute sind selbst die Vögel im Walde, die Fische
in den Wellen von seligen Regungen durchdrungen. Sie
ermuntert die Gefährten, im angenehmen Schatten des
Hains sich frohen Tänzen hinzugeben und entfernt sich mit
ihnen. Zweite Sceiie: Orpheus, hocherfreut, die Erfüllung
sehnlichster Wünsche nahe zu wissen, tauscht mit zweien
seiner Freunde annmthige Wechselreden, als plötzlich weh-
klagend eine Nymphe herbeieilt i „Euridice, von einer
Schlange gebissen, ist, den Namen ihres Orpheus auf den
Lippen, verschieden I" Schmerzvoll ruft Orpheus: „Wer hat
dich mir geraubt? Bald wirst du sehen, dass sterbend du
den Gemahl nicht vergebens gerufen; ich bin nicht fern,
ich komme, theures Leben, theure Todtel" Der rückkeh-
rende Chor beweint Euridice und beklagt die Vergänglich-
keit der Lust und des Lebens.
Nymphe: Du schöner Tag, der früh am Morgen so schön begann, ach!
wie hat vor dem Abend dich Schmerzenswolke tief umschattet.
Die Flut bändigt der kühne Schiffer, der stolze, in Zorn ent-
brannte Löwe des Waldes ist zu zähmen; den Tod nur ver-
mag keine Kunst zu bezwingen.
Freude, Sang und Scherz, ihr wandet euch in Schmerz 1
Grausam riss aus unsrem Kreis der Tod die schönste Creatur,
|: Seufzt, ihr Himmelslüfte, weinet, Wald und Flur. :|
Jene blüthenreichen Wangen, die Amor zum Sitz erkoren,
Sind erblasst und haben ihre süssen Kosen all* verloren,
Dunkler Augensterne Flammen, die so selig konnten funkeln,
Ach, in wenig Augenblicken konnte euch der Tod verdunkeln.
(Der Chor wiederholt dazwischen den Refrain: Seufzt, ihr Himmelslüfte
etc. etc.)
Diese Klagen unterbricht, in grosser Erregung auftre-
tend, Arcetro, ein Freund des Orpheus. Er berichtet, dass,
als er diesem gefolgt, um ihn zu* trösten, plötzlich heller
Lichtglanz, vom Himmel fallend, seine Augen getroffen und
dass in einem herrlichen Wagen aus leuchtendem Saphir,
— 79 -
von zwei weissen Tauben gezogen, sich eine himmlische
Frau langsam aus der Höhe zu dem leblos am Boden lie-
genden Sänger herabgesenkt und, ihn erhebend, die Hand
gereicht habe. Er selbst sei hieher geeilt, den Gefährten
diese wunderbare Kunde zu bringen. Der Chor drängt sich
zu den Altären. In der folgenden Scene erscheint Venus
mit Orpheus an den Ufern der Unterwelt, ihn ermuthigend,
der Burg Pluto's furchtlos zu nahen, um durch seine Kla-
gen, die den Himmel bereits bewegt, nun auch die Gewal-
ten des Hades zu rühren. Orpheus betritt, um Euridice
jammernd, den Orkus. Pluto, von seinem Schmerz erschüt-
tert, hält ihm entgegen, dass in seinem Reiche ein demant-
nes, unverbrüchliches Gesetz herrsche. Orpheus entgegnet,
wer Andern Gesetze gebe, sei selbst von jeglichem Gesetze
befreit:
Doch du fühlst für meine Schmerzen
Mitleid nicht in deinem Herzen; —
Wehe, du gedenkest nicht,
Wie die Lieb' uns heiss umflicht.
Und doch, auf dem Berg der ew'gen Triebe
Hast auch du geweint, im Bann der süssen Liebe.
Kann mein Fleh'n dich nicht bewegen,
Wende deinen Blick zu jener Schönen,
Die dir einst erweckt so tiefes Begen;
Sieh', sie seufzt bei meinen Klagetönen,
Und ihr Aug' auf mich gewendet,
Mir des Mitleids Zähren spendet;
Sieh', die dunklen Götter alle nehmen
Und die Schatten Theil an meinen Thranen.
Persephone, Bhadamanthus, selbst Charori vereinen nun
ihre Bitten zu Gunsten des Unglücklichen. Pluto, endlich
besiegt, erfüllt des Sängers Wünsche. Der Chor preist Or-
pheus als- Sieger. Die Scene verändert sich in die frühere.
Der bekümmerte Arcetro wird durch die freudige Kunde
der Bückkehr seines Freundes überrascht. Orpheus, ein be-
neidenswerther, hocherfreuter Gatte; fuhrt Euridice, schöner
- 82 -
der Komposition Caccim'ß, der diese Partien durch seine
Schüler auch singen Hess. Caccini's „vollständige Partitur
erschien 1G00 in Florenz (bei Giorgio Marescotti), diejenige
Peri's 1600 und 1608 in Venedig (Marescotti und Aless.
Rauer). Zu beiden Werken schrieben die betreffenden Au-
toren eingehende, höchst interessante Vorreden. Caccini
widmete seine Komposition seinem Gönner, dem Grafen
Vernio, Peri die seinige der Königin Maria von Frankreich.
Vergleicht man die Tonsätze beider Partituren, so erkennt
man, dass Peri den Sänger, will dieser die vom Tonsetzer
beabsichtigte Wirkung erzielen, nöthigt, sich genau an die
vorgeschriebenen Noten zu halten, während die Monodonien
des Gesangskünstlers Caccini, denen eigentliche dramatische
Kraft und Deklamation nur in minderm Grade zuerkannt
werden können, erst Reiz gewinnen, wenn sie durch zierlich
ausgeschmückten Vortrag gehoben werden. Der recitirende
(dramatische) und kolorirende (brillante) Gesang treten sich
also schon in diesen frühesten dramatischen Werken entgegen.
Die Aufführung der „Euridice" zeichnete sich selbst-
verständlich durch glänzendsten Aufwand aller Mittel der
Dekoration, der Kostüme, der Maschinerie u. s. w. aus.
Diese äusserlichen Dinge, die auch heute noch die Sinne der
Opernbesucher in der Regel in erster Linie und meist mehr
fesseln als die Musik selbst, waren damals bereits in ähn-
licher, wenn nicht grösserer Vollkommenheit zu bewundern,
wie jetzt. Ein gleichzeitiger Berichterstatter sagt über die
Darstellung: „Die Ausstattung der Bühne war durch die
Munificenz der Herzöge Etruriens und anderer hoher Per-
sonen so über alle Beschreibung herrlich, dass dieselbe
den ganzen Adel Italiens herbeizog. Die verwandelte Scene
zeigte bald grüne Gefilde, bald das ungeheure Meer, bald
anmuthige Gärten, bald plötzlichen Regen und Sturm (in-
dem der Himmel sich mit furchtbaren Wolken bedeckte),
bald den glücklichen Aufenthalt der Seligen, bald die ewigen
— 83 —
v
Qualen der Unterwelt. Man sah Bäume, deren Binde sieb
von selbst öffnete, schöne Mädchen gleichsam gebärend; un-
vermuthet entstandene Wälder bevölkerten sich mit Faunen,
Satyrn, Dryaden und Nymphen, brachten Quellen und Flüsse
hervor und anderes noch weit Bewundernsweriheres, was
vordem Niemandes Auge gesehen."
Ein zweites, ebenfalls bei diesen mediceischen Hoch-
zeitsfeierlichkeiten aufgeführtes Werk war: „il rapimento
(il ratto) di Cefale". Poemetto dramatico von Gabriello
Chiabrera, Musik von Caccini und Peri. Proben der
letzteren gibt der erstgenannte beider Tonsetzer in seinem
Werke: le nuove musiche.
Die Bahn, wenn auch vorläufig das Hauptelement, die
Tonkunst, noch nicht zu genügender Wirkung und Aus-
drucksfähigkeit gelangen konnte, da die musikalische Be-
handlung noch zu einseitig war, um für die Dauer nicht
monoton und langweilig zu werden, war nun durch verschie-
dene, mit Beifall aufgenommene Versuche doch gebrochen.
Opernauffiihrungen gehörten fortan zu dem vornehmsten,
aber auch kostspieligsten Schmuck aller Höffestlichkeiten;
die goldene Zeit italienischer Sänger und Tonsetzer, die
nun für Jahrhunderte das musikalische Bedürfuiss der Welt
fast ausschliesslich deckten, hat begonnen.
Wollte man alle die zahllosen auf uns gekommenen
Berichte über glänzende und mit verschwenderischer Pracht
in's Leben getretenen Operndarstellungen an einander reihen,
man würde Bände damit füllen können. Für die Zwecke
gegenwärtigen Vortrags genüge es, noch einiger Aufführun-
gen zu gedenken, in denen das begonnene Werk zu all-
mähligem vorläufigem Abschlüsse gebracht ward.
Gleichzeitig mit Peri und Caccini arbeitete auch Ca-
valieri an einem grösseren Werke, das kaum minderes Auf-
sehen wie die Opern „Dafhe" und „Euridice" machte und
manchen Kunsthistoriker zu der Meinung veranlasste, auch
- 84 -
Cavalieri habe eine Berechtigung, den Erfindern der neuen
dramatischen Musik beigesellt zu werden. Was davon zu
halten, ist aus dem oben angezogenen Zeugniss des Eryth-
räus zu ersehen. Cavalieri, wenn er auch ein lebendiges
Gefühl dessen in sich trug, was Noth that, scheint doch
zu geringe schöpferische Begabung besessen zu haben, um
an die Spitze einer so wichtigen Beform treten zu können.
Seiner früheren Thätigkeit als Tonsetzer wurde bereits ge-
dacht. Nun führte er im Febr. 1600 im Oratorio der Kirche
della Vallicella in Born unter dem Titel: delV anima e del
corpo" (die Seele und der Körper) auf einer Bühne mit Scenen
und Dekorationen, durch handelnde Personen, auch mit ein-
gewebten Tänzen, eine Art Oratorium, ein moralisch-allegori-
sches Drama (von L. Guidiccioni gedichtet) auf. Als Einleitung
ward ein Madrigal, die Stimmen doppelt besetzt und durch
Instrumente verstärkt, gesungen. Das Orchester (eine Lira
doppia, ein Clavicembalo, eine Ghitarrone, zwei Flauti, eine
Viola da Gamba, für den Hauptpart von besonders guter
Wirkung, etc.) ist nach Vorschrift des Textbuches hinter
den Goulissen aufzustellen. Die handelnden Personen sollen
Instrumente in der Hand halten, um die Täuschung zu er-
wecken, als ginge die Musik von ihnen aus. Der Okor sass
und stand auf der Bühne, angesichts der Hauptpersonen.
Sitzende sollten jedoch beim Singen aufstehen und gehörig
gestikuliren. Der Text ward gedruckt und vertheilt. Beim
Trennen des Vorhangs erscheinen zwei Jünglinge, den Pro-
log recitirend. Nach ihnen J tritt die Zeit (il tempo) auf,
ihre Gesänge von dem unsichtbaren Orchester begleitet.
Dagegen sollen das Vergnügen (il planere) und dessen
zwei Gefährten zu ihrem Gesänge die nöthigen Bitornelle
selbst spielen. Der Körper (il corpo) mag bei Ausstossung
der Worte: „St che hormai alma mia" etwas von seinem
Kleiderputz oder Schmuck, z. B. die goldene Halskette, die
Federn vom Hute abreissen und von sich werfen. Die Welt
- 85 —
(U mondo) und das menschliche Leben (la vita umana)
müssen besonders reich und bunt gekleidet sein; sind sie
aber ihrer Hüllen entledigt, sollen sie armselig und elend,
wie Todtengerippe aussehen. Symphonien und Ritornelle
sind stark zu spielen. Das Stück kann mit oder ohne Tanz
aufgeführt werden. Wird letzterer jedoch vorgezogen, so
soll er zu gewissen Versen in ehrwürdiger langsamer Be-
wegung sich entwickeln. Gravitätische Schritte und Figuren
mögen dann folgen. Während des Kitornells führen vier
Haupttänzer ein Ballet, belebt mit Capriolen und Entrechats,
aber ohne Gesang, aus. Und so nach jeder vom ganzen
Personale gespielten und gesungenen Stanze, jedoch mit
dienlicher Abwechslung, bald im Gagliarden-, bald im Ca-
nari-, bald im Couranten-Schritt, was den Ritornellen sehr
gut passen wird. Viele Bathschläge für die Ausführenden,
die auch heutzutage Sängern und Anordnern musikalischer
Dramen zur Beherzigung zu empfehlen wären, folgen noch.
Die durch das ganze Stück gehende Musik besteht nur aus
Recitativen (Recitationen?) und sehr einfachen Chören.
Das Ganze scheint in der Art seiner früheren Werke,
in denen er ja auch bereits Anspruch darauf erhebt, Neue-
rungen eingeführt und nach geläuterten Grundsätzen ge-
handelt zu haben, gehalten zu sein.
Fernere Nachrichten von ausserordentlichen Opern-
aufführungen in der Arnostadt fehlen uns. Auch die Na-
men Peri und Caccini begegnen uns fortan nicht mehr.
Dagegen lesen wir von prächtigen Vorstellungen, die in den
nächsten Jahren in Mantua stattfanden. Herzog Vincenz I.
von Mantua und Montferrat (1587 — 1612) suchte, nachdem
Papst Clemens VIII. das Lehen Ferrara (1598) dem Hause
Este entzogen hatte und dies sich nun allein auf Modena
beschränkt sah, das italienische Eunstmäcenat für das Haus
Gonzaga zu erwerben -und seine Residenz Mantua zur Ne-
benbuhlerin von Florenz emporzuheben. Voraussichtlich hatte
— 86 —
er den Vorstellungen dort regelmässig beigewohnt, nun be-
strebte er sich, das Gesehene durch die von ihm gegebenen
Feste in Schatten zu stellen. Im J. 1607 ward in Mantua
die von dem berühmten Monte verde (auf den weiter unten
des Nähern zurückzukommen ist) komponirte Oper „Orfeo",
nach der Poesie eines unbekannten Dichters, 1608, gelegent-
lich der Vermählung des Prinzen Franz (IV.) mit Margaretha
v. Savoyen, die Oper „Arianna"*) und die Tanzoper: „il hallo
dette ingrate" (Tanz der Spröden), beide von Rinuccini ge-
dichtet und von Monteverde in Musik gesetzt, und ferner
noch die zu diesem Zwecke von Rinuccini vermehrte und
verschönerte Oper „Dafne", nach der Komposition des Flo-
rentiners Gagliano gegeben. Einen Beweis dafür, mit wel-
cher Sorgfalt man bei der Ausführung einer Oper in jener
Zeit zu Werke ging, gibt die der Partitur**) des letzteren
Werkes vorgedruckte Vorrede des Komponisten. „Als ich
mich letzten Karneval in Mantua befand, von Sr. Hoheit
ehrenvoll berufen, um sich meiner bei der Musik zu bedie-
nen, die bei der Vermählung seines Sohnes mit der Infantin
von Savoyen veranstaltet werden sollte, wünschte der Herzog
unter Anderm, dass die „Dafne" des Rinuccini dargestellt
würde. Beauftragt, dieselbe in Musik zu setzen, that ich
dies in der Weise, die ich Euch hier darbiete, obgleich
ich allen Fleiss angewandt, des Dichters ausgezeichne-
tem Geschmack zu genügen, will ich doch nicht glauben,
dass das seltene Vergnügen, das Jedermann an dieser
Oper empfand, allein aus meiner Kunst hervorging, denn
es gibt neben der Musik andere nothwendige Erfordernisse,
*) Kurz zuvor (1608) zur Vermählungsfeier de» Kronprinzen Cos-
inus (II.) von Medici mit Maria Magdalena von Oesterreich verfasst.
**) La Dafne di Marco da Gagliano neW accademia degV ele->
vati Vaffanato rappresentata m Mantova. In Fi/renze. Appreaso Chri-
stofana Marescotti 1608.
- 87 -
Ausschmückungen u. dgl., ohne die auch die schönste Har- [
monie wirkungslos bleibt. Obwohl ich nicht wünsche mich
kunstreicher Verzierungen (Triller, Passagen, Ausrufungen)
zu "berauben, möchte ich sie doch nur zur rechten Zeit und
am rechten Orte angebracht sehen, z. B. in den Chören
und in der Ottave: „Wer frei lebt von den Schlingen des
Amor", von der man sieht, dass sie hier steht, um die
Grazie und Fähigkeit des Ausführenden darzuthun, was
Signora Catarina Martinelli glücklich erreichte, indem sie
selbige mit solcher Anmuth sang, dass sie alle Zuhörer
mit Lust und Bewunderung erfüllte. Auserlesenen Vortrag
erfordern auch die letzten Terzinen: „Mein Schmerz sorgt
nicht um Frost, um Flammen 44 , wobei Sign. Franc. Rasi
die grosse Lieblichkeit seiner Stimme vollkommen zur Gel-
tung bringen konnte. Aber wo es das Stück nicht ver-
langt, unterlasse man jede Verzierung ; man nehme vielmehr
Bedacht, die Silben gut, die Worte deutlich zu sprechen,
vorzüglich bei den Recitationen. Das wahre Vergnügen beim
Gesänge entspringt aus dem Verständniss des Textes. Weiter
gebe man darauf Acht, dass die Instrumente, welche die
einzelnen Stimmen zu begleiten haben, so aufgestellt werden,
dass sie die Singenden im Auge zu behalten vermögen, da-
mit sie, sich beiderseits vernehmend, gleichzeitig fortschrei-
ten können. Man sorge auch dafür, dass die Harmonie
weder zu stark, noch zu schwach sei, dass sie den Gesang
stütze, ohne das Verständniss der Worte zu beeinträchtigen.
Vor dem Herunterlassen des Vorhangs (bei den damaligen
Bühnen wurde der Vorhang herab-, nicht hinaufgezogen)
ertöne, die Hörer aufmerksam zu machen, eine Sinfonie
verschiedener Instrumente; nach fünfzehn oder zwanzig Takt-
schlägen trete der Prolog in einem dem Klange des Vor-
spiels angemessenen Schritt auf, nicht tänzelnd, sondern mit
Würde, der Art, dass die Bewegung nicht von der Musik
abweiche« An die Stelle gelangt, wo es ihm angemessen
- 88 -
erscheint, zu beginnen, fange er an, ohne weiter vorzuschrei-
ten. Sein Gesang sei vor Allem voll Majestät; je nach der
Höhe des Gedankens gestikulire er mehr oder weniger, da-
bei beachte er jedoch, dass jede Geste, jeder Schritt stets
mit dem Maasse des Klanges und Gesanges zusammentreffen
müsse. Der Anzug sei einem Dichter gemäss, mit einer
Lorbeerkrone auf dem Haupte, die Lira an der Seite, den
Bogen in der Hand. Nach dem Abgang des Prologs tritt
der Chor auf, aus mehr oder weniger Nymphen und Schä-
fern bestehend, je nach dem Umfange der Bühne. Sie zeigen
im Gesicht und durch Geste die Furcht, auf den Drachen
zu treffen. Ist die Hälfte des Chors, der aus nicht weniger
als sechszehn bis achtzehn Personen bestehen soll, erschie-
nen, so beginnt der erste Schäfer, zu den Gefährten ge-
wendet, zu sprechen, bis er zu der Stelle gelangt, wo er
stehen bleiben soll. Der Chor bildet um ihn einen Halb-
kreis, singend, was ihm zukommt, gestikulirend, wie es die
Worte verlangen. Bei dem Hymnus : „Kann in jenen gold'-
nen Höhen" senken Alle das Knie und richten, Jupiter an-
flehend, die Blicke nach Oben! Nach Beendigung der Hymne
stehen sie auf, beachtend, bei dem Gesänge: ;,das gier'ge
Thier" betrübt oder heiter zu scheinen, je nach der Antwort
des Echo, auf das sie mit grosser Aufmerksamkeit zu mer-
ken haben. Nach der letzten Antwort erscheint der Drache,
gleichzeitig Apollo, den erhobenen Bogen in der Hand. Beim
Anblick des Ungethüms singt der Chor erschreckt, gleich-
sam schreiend: „Weh' uns, die Schlange kommt", und zieht
sich, Furcht ausdrückend, nach verschiedenen Seiten zurück,
ohne jedoch ganz unsichtbar zu werden. Alle richten an Apollo
in Mine und Bewegung die flehendliche Bitte : „Apollo, nah'
dich schnelle!" Nun bewegt sich dieser mit anmuthigem
aber stolzem Schritt gegen den Drachen, schwingt den Bo-
gen, legt die Pfeile zurecht, jede Geste mit dem Gesänge
des Chors in Uebereinstimmung. Er schnelle den ersten
- 89 —
Pfeil ab unmittelbar vor den Worten: „0 segensreicher
Pfeil !", den zweiten vor: „Dem edlen Schützen Heil!", den
dritten bei: .,Triff ihn in's Herzl" Nach diesem Schuss
zeigt sich der Drache schwer getroffen und flieht von Apollo
gefolgt durch einen der Ausgänge; der Chor, nachblickend,
gibt zu erkennen, dass er den Drachen sterben sieht. Dann
kehrt er in seine Halbkreisstelhmg zurück, auch Apollo
kommt wieder und, das Gefilde durchschreitend, singt er
majestätisch: „So liegt er endlich todtl" Nach seinem Ab-
gange ertönt die Canzone zu seinem Buhme, wobei sich
der Chor im Zuge, aber mit Vermeidung gewöhnlicher Tanz-
bewegungen rechts, links und gerade aus zu bewegen hat.
Da jedoch der Sänger des Apollo nicht immer geeignet sein
dürfte, jenen Kampf, wozu Geschicklichkeit in der Bewegung
und in Handhabung des Bogens in schönen Stellungen ge-
hört (mehr eine Aufgabe für Fechter und Tänzer als für
Sänger) und da durch den Kampf in Folge der Bewegung
das Singen beeinträchtigt werden dürfte, so mögen zwei
gleichgekleidete Apollo's vorhanden sein; der, welcher singt,
. komme mit dem gleibhen Bogen bewaffnet nach des Drachen
Tod statt des Andern hervor. Der Drache muss gross sein
und wenn es der Maler versteht, ihn mit beweglichen Flü-
geln zu versehen und Feuer speien zu lassen, gehe er auf
den Händen als vierfüssig. Der der Dafhe den Sieg ApolFs
erzählende Schäfer ahme dessen Stellungen beim Kampfe
möglichst nach. Kommt er aber, um die Verwandlung der
spröden Dafhe kund zu thun, dann lasse sein Gesicht den
Ausdruck des Schreckens und Schmerzes erkennen und auch
der Chor bethätige Aufmerksamkeit und Mitleid bei der
traurigen Kunde. Dieses Boten Partie, überaus wichtig,
verlangt mehr als jede andere vollendeten Vortrag. Ich
wünschte es lebendig abmalen zu können, wie dieselbe von
Sig. Antonio Brandi, il Brandino genannt, ausgeführt wurde.
Sein herrlicher Contra Alt, seine deutliche Aussprache, seine
~ 90 -
bewunderungswürdige Anmuth im Gesänge, Hessen nicht
nur die Worte verstehen, sondern durch Gesten und Be-
wegungen erregte er dem Gemüth unbeschreibliches Wohl-
gefallen. Die Trauerscene Apollo's will mit dem möglichst
grössten, wo es der Text verlangt, noch wachsendem Aus-
druck gesungen werden. Bei den Worten: „Zum Kranze
mögen sich die Zweige bilden", umkränze er sich mit einem
Lorbeerzweige das Haupt. Da dies jedoch einige Schwierig-
keiten darbietet, wähle man zwei Zweige von halber Arms-
länge, verbinde die Enden und halte sie mit der Hand zu-
sammen, so dass sie nur ein Zweig zu sein scheinen. Diese
Kleinigkeit ist wichtiger ufid schwieriger auszuführen, als
es scheint. Auch ist nicht zu übersehen, däss, wenn Apollo
bei der Stelle : „Nicht Flammenglut, nicht Eiseskalte hemmt
meine Klage", die Lira an die Brust nimmt, derselben ein
vollerer Klang entströmen muss. Daher mögen sich vier
Violinspieler so aufstellen, dass sie von unten nicht gesehen
werden, sie aber wohl den Sänger sehen können, und je nach-
dem er den Bogen auf die Lira setzt, spielen sie die drei
vorgeschriebenen Noten, indem sie zugleich darauf achten,
die Striche gleichmässig zu ziehen, damit es nur ein Bogen
zu sein scheine. Diese Täuschung, eine so vollendete Wir-
kung ermöglichend, wird ebenso wenig bemerkt werden, wie
die doppelte Besetzung der Bolle des Apollo."
Musikalischer Ausdruck, der nicht aus den Tiefen mu-
sikalischen Empfindens hervorgeht, wesentlich nur an den
Inhalt der gesprochenen Bede sich lehnt oder nur bestrebt
ist, diesem grössere Stärke zu geben, erschöpft sich bald.
Dem Drange nach Darstellung innersten Gemüthslebens durch
die Tonkunst konnten weder die sonst treffliche Becitation
Peri's und der künstliche Aufputz der Monodonien Caccini's
noch die häufigere Anwendung der Halbtöne und anderer
bisher selten gebrauchter harmonischer Beizmittel oder das
Bestreben, je nach dem Wortinhalte bestimmte musikalische
L'
- 91 - •
• Motive zu erfinden, entsprechen. Das musikalisch angeregte
Gefühl gelangte bei solchen Versuchen, in denen, wie das
gewöhnlich so geht, noch auf Kosten der Details die Rück-
sicht auf das Ganze aus den Augen verloren ward, zu kei-
i
nem Ruhepunkte; das Gemüth klang wohl an, aber zum
wirklichen Ertönen, nur durch melodische Gestaltungen er-
reichbar, kam es nicht. Ebensowenig konnte die Verwen-
dung der Instrumentalmittel für die Dauer genügen. Immer
noch gingen die Instrumente je nach Umfang und Charakter
im Unisono mit den Chor stimmen; wir finden daher nir-
gends in den Partituren dieser Zeit ausgeschriebene Instru-
mentalpartien, höchstens eine Angabe der Instrumente, die
diesen oder jenen Gesang begleiten sollen. Bei den Solo-
gesängen hatten die Instrumente nur die Aufgabe, der Sing-
stimme eine harmonische Grundlage zu geben und sich in
die Ziffern der Generalbasastimme zu theilen. Eine Beglei-
tung im modernen Sinne war der fortgehenden recitativi-
schen Deklamation wegen, die mehr dem Rhythmus der Rede
als dem der Musik folgte, überhaupt unmöglich. Uebrigens
wax das Accompagnement nur für den Sänger, nicht auch
für die Zuhörer berechnet, welch' letztere vom Orchester
nichts sahen und wenig davon hören sollten und konnten.
Um die neue Musikgattung ihrer Vollendung entgegenzu-
führen, sie dahin zu bringen, das Gemüthsleben in seinen
Tiefen aufzuregen, in seinen Gegensätzen musikalisch an-
schaulich zu machen, bedurfte es eines Styls, der die man-
nigfachen, noch unbenutzten Mittel des Tonreichs zu er-
schliessen vermochte. Nicht die Beseitigung der Mehrstim-
migkeit konnte diesen neuen Styl begründen, sondern eine
Umbildung derselben, die der sich geltend machenden Sub-
jektivität zum Ausdruck verhalf. Zu letzterem war das alte,
auf accordisch -harmonischem Fortschreiten und in Conso-
nanzen sich bewegende Tonsystem nicht befähigt; wollte
man jene in ihren Wirkungen der Phantasie vorschwebende
- 92 -
individuell ergreifende Musik hervorbringen, so musste un-
vermeidlich mit der bisherigen Tonlehre gebrochen werden.
Claudio Monteverde, um 1568 zu Cremona ge-
boren, trat, ein vorzüglicher Violaspieler, schon früh in die
Dienste des Herzogs von Mantua. Nachdem er bei dem
Kapellmeister Marco Ingegneri seine kontrapunktischen Stu-
dien vollendet hatte, veröffentlichte er seit 1582 zahlreiche
Kompositionen, erregte jedoch erst mit dem dritten Buche
seiner Madrigale (Venedig 1598) wirkliches Aufsehen, denn
darin fanden sich zwei Nummern (gelegentlich der fest-
lichen Doppelhochzeit Philipp'« III. von Spanien mit Marga-
retha von Oesterreich und Erzherzog Albert's von Oester-
reich mit der spanischen Infantin Clara Eugenia in. Ferrara
aufgeführt), in denen zur Erreichung eines leidenschaft-
lichen Ausdrucks gegen die bisher geltende Regel frei ein-
tretende Dissonanzen angewendet waren. Diese Neuerung
machte gewaltiges Aufsehen und rief zahlreiche Streitschriften
hervor, die aber, wie dies meist zu geschehen pflegt, mehr
für als gegen die Neuerung und den Ruhm Monteverde's
arbeiteten. Der Erfolg seiner in Mantua aufgeführten Opern
trat hinzu seinem Namen den ehrenvollsten Klang zu geben.
Als daher 1613 Giulio Cesare Martinengo, Kapellmeister an
der Markuskirche in Venedig, gestorben war, erhielt er den
beneidenswerthen Ruf an diese angesehene musikalische
Stelle. Er bekam fünfzig Dukaten Reisegeld, seine Amts-
wohnung — o glücklicher Monteverde! — wurde neu her-
gestellt und der Gehalt, bei seinen Vorgängern 200 Duka-
ten, für ihn auf 300 erhöht. Ja, als 1616 sein dreijähriger
Kontrakt abgelaufen war, erhöhte der Senat — o preis-
würdiger Senat! — seinen Jahresgehalt auf 400 Dukaten:
„damit er Gelegenheit habe, sich dazu zu bestimmen, in
diesem Dienste zu leben und zu sterben". Während er
nun so in Venedig im schönsten Mannesälter und behag-
lichster Wirksamkeit thätig und wegen seiner ausgezeich-
- 98 -
neten Eigenschaften und Gelehrsamkeit von allen Fürsten
gewünscht und gesucht war, beraubte ihn der Himmel, um
ihn zu grösserer Vollendung zu führen, seiner Frau: „aber
er versuchte nicht, gleich einem neuen Orpheus, dieselbe
mit dem Klange seiner Viola, worin er seines Gleichen nicht
hatte, vom Tode zurückzurufen, um ihr nicht die Seligkei-
ten des Paradieses zu rauben (!)". Bologna, Parma, Rovigo
und andere Städte Italiens wetteiferten, ihn mit Ehren zu
überhäufen; 1633 wurde er, jedoch ohne dem Theater seine
Thätigkeit zu entziehen, Priester. Nach 1641 besuchte
Monteverde mit Erlaubniss der Prokuratoren noch einmal
seine Vaterstadt und andere ihm liebe Orte, um von noch
lebenden alten Freunden und Bekannten sich zu verabschie-
den, dann zehrten sich seine Kräfte schnell auf und er starb,
75 Jahre alt, 1643.
Sein Bildniss zeigt einen ausserordentlich intelligenten,
energischen Kopf. Die Stirn, stark ausgearbeitet, beherrscht
das längliche Gesicht vollständig; aus den Zügen spricht
tiefer Ernst.
Die interessantesten dramatischen Werke Monteverde's,
der vom Jahre 1630 an auf dem grossen Theater Venedigs
noch sechs neue Opern*) aufführte, sind die drei in den
Jahren 1607 und 1608 zu Mantua dargestellten Dramen.
Von dem Grundsatze ausgehend, das das Melodische aus
drei Dingen bestehe; aus Rede, Harmonie und Rhythmus;
Consonanz und Dissonanz, Harmonie und Rhythmus sich
nach der Rede richten müssen, diese aber wieder von der
jeweiligen Gemüthsstimmung abhängt, strebte er, seinen Ge-
sängen durch Anwendung schneidender Dissonanzen und
*) „Proserpina rapita" von-S. Sfrozzi (?) 1630. „Adone"
von Paolo Vendramin 1639. „Arianna" von 0. Binuccini 1640. „Le
nozze d'Enea con Lavinia" u. „il ritorno <T Ulisse in patria",
beide von Giacomo Bodoaro 1641. „L'incoronazione di Poppea"
von Giaufrancesco Businello 1642.
- 94 -
#
überraschender Hannoniefolgen leidenschaftlicheren Charak-
ter und stärkeres musikalisches Kolorit zu geben.
Der unbekannte Dichter des von ihm komponirten
„Orfeo" behandelte, in der Absicht, Rinuccini zu übertreffen,
die Fabel des Orpheus der alten Tragödie gemäss, vermochte
* jedoch dadurch seinen Zweck nicht zu erreichen. Orpheus
verliert also in dieser Dichtung durch Uebertretung des Ge-
bots Pluto's die Gattin wieder. Der Chor singt : „Die Unter-
welt hat Orpheus überwunden, dann erlag er seiner Leiden-
schaft : ewiger Ehre werth ist nur der allein, der sich selber
besiegt." Orpheus, in heftigem Schmerz, klagt zuerst dem
Echo sein Leid, dann singt er das Lob der theuren, ihm
. zu früh entrissenen Euridice, indem er sie auf Kosten ihres
ganzen Geschlechtes, dem er in sogenannten strauchelnden
Versen eine arge Schmährede hält, erhebt. Da erscheint
Apollo: „Warum gibst du der Bitterkeit, dem Schmerz
Dich also hin, mein Sohn? Ein edelmüthig Herz
Dient nicht den eignen Leiden.
Der Schmach und Noth seh' ich dich ganz verfallen,
Drum komme ich herab, dich zu geleiten
Und folgst du meinem Rath, erlangst du Ruhm vor Allen.
Orpheus: Du kommst zum Aeussersten, geliebter Vater,
Wo zu verzweiflungsvollem Ende
In höchstem Schmerz vor Liebe ich mich wende;
Sei du nun mein Berather,
Und was du willst, vollende.
Apollo: Zu sehr warst du beglückt in selig frohen Tagen,
Zu sehr seh' nun ich dich dein herb Geschick beklagen;
Du weisst noch nicht, dass Lust und Dauer hier sich nie ver-
tragen.
Willst du erlangen ein unsterblich Leben,
So musst zum Himmel du mit mir dich jetzt erheben.
Orpheus: Und nie mit ihr werd' ich mich mehr vereinen?
Apollo: Am Sternenhimmel wird ihr Antlitz dir erscheinen,
Orpheus: Befolgte ich nicht deinen treuen Rath,
Unwürdig war' ich solchen Vaters in der That.
Beide : So lass' uns singend auf zum Himmel schweben 4 ,
Dort findet Tugend Fried' und ew'ges Leben.
- 95 -
Der Schlusschor preist Orpheus in einer seltsam mo-
ralisch-religiösen Wendung:
Wer in Liebe sa'te, erntet aller Gnaden Frucht;
Gnad' erwirbt im Himmel, wen hier Hölle .heimgesucht.
Eine Moresca (mohrischer Tanz), schon seit dem 15.
Jahrhundert am Ende der Schauspiele gebräuchlich, be-
schliesst das Ganze. In der obigen Scene zwischen Apollo
und Orpheus gibt Monteverde einen Z wiegesang, der in
seiner kolorirten Ausführung bereits den Charakter eines
Duetts trägt* An manchen Stellen geht er, wie auch in
den überhaupt leidenschaftlich und energisch gehaltenen
Einzelngesängen, zu einer Art von Cantilene über, dadurch
die ersten Hindeutungen zur später eingetretenen scharfen
Sonderung zwischen Recitativ und Arie gebend. Die be-
gleitende Bassstimme hat nicht allein den Zweck einer noth-
dürftigen Unterlage, sondern nimmt in ihren Bewegungen
an der musikalischen Darstellung Theil. Dabei scheut er
sich nicht, falls der Sänger recht Herbes zu sagen hat, der
Bassstimme selbst widerlich klingende Dissonanzen zu geben.
Die Fülle der ihm zur Verfügung stehenden Instrumente be-
nützt er bereits zu bestimmt vorgeschriebener Begleitung des
Gesangs oder zu selbständigen Zwischenspielen. Mit Geschick
sucht er die Klangfarbe der Instrumente zur Charakteristik
der Stimmung einzelner Scenen zu benützen;*) so schreibt
*) Monteverde ordnet Personen und Instrumente im „Orfeo"
im Allgemeinen folgendermassen (diese Eintheüung von Winterfeld II,
44 — 46 bestritten):
Personaggi: Stromenti:
La Musica, Prologo. 2 Clavicembali.
Orfeo. 2 Contrabassi de Viola.
Euridice. 10 Viola da brazzo.
Coro di Ninfe e Pastori. 1 Arpa doppia.
Speranza. 2 Violini piccoli alla Francese.
Caronte. 2 Chitarroni.
Cori di spiriti infernali. * 2 Org&ni a legna
- 06 -
er Rohrwerke vor bei der anfänglichen Weigerung des
Charon, den Orpheus über den Styx zu fahren, Flötenwert©
und eine grosse Zither, da Orpheus seinen zwar recitativi-
schcn, aber reich mit Koloraturen verzierten Gesang 'be-
ginnt; diesen selbst lässt er durch instrumentale Zwischen-
spiele, zu donen er erst zwei Violinen, dann zwei Cornets,
weiter die Doppolharfo verwendet, mehrfach unterbrechen.
Beim letzten Vers greifen drei Violinen und der Bass schon
während des Gesanges ein, und bei ihren leise gezogenen
Tönen sinkt Charon in Schlaf.
Auch in der „Arianna" zeigt der Dichter (Rüraccini)
antiki&irondes Streben, jedoch ist er hier weniger glücklich,
wie in der „Euridic* u . Die Handlung dieser Oper ist kurz
folgende : Mit Thoseus und Ariadne tritt ein Kriegerchor auf,
de« Helden Lob singend. Der Tag neigt sich. Ein Chor
von Fischern friert die Schönheit der heitern Nacht und
ihrer Sterm\ dann die Macht schöner Augen. Dar Morgen
bricht an. Gesang und Gegengesang lässt sich hören, Wech-
sel eimelner Stimmen mit wiederkehrender Chorstrophe, Die
Gefährten des Theseus unterhalten sich toh dessen naher
Abreise* Fischer und Hirten treten ra ihnen. Sie preisen
»hr friedliches Leben im Ge^ensatne des unruhigen Cniher-
schwvitens ^Vierter Helden; „mhis meiden sie flu* Heer-
«fttn *W *ucfc den schweifenden Heenkn der Tiefe steilen
sie NYue". Em R*e künde* des Th^^^s Kucht und scfcil-
lVr^n^^j.
** <W ^**>~
Stivtteati:
S wessen > Fäjö» *3fc
- 97 -
dert der Ariadne Verlassenheit. Diese erscheint selbst, ihre
rührende Klage, den gefeierten Mittelpunkt des Ganzen,
singend. Mit diesem Tonstücke, dem einzigen uns erhalten
gebliebenen Fragmente des ganzen Werkes, lange Zeit als
ein Wunder der Kunst, geschätzt und in der That auch
von ergreifendem Ausdrucke, wusste' die klagende Ariadne
die Gemüther der Zuhörer aufs äusserste zu erregen.*)
Vergebens müht sich das Chor die Liebende zu beruhigen,
ihr Hoffnung auf des Entflohenen Rückkehr zu erwecken.
Unterdess naht Bacchus; glücklich wirbt er um die schnell
getröstete Verlassene, der Olymp öffnet sich und die Götter
segnen die Vermählung des neuen Paares. .
Ein ganz eigenthümliches Werk ist Monteverde's
Tanzoper: „ü hallo delle ingrate", ebenfalls von Rinuc-
cini gedichtet. Die ausgesprochene Absicht des DicKlers
ging dahin, die Damen des Hofes zu belehren, mit ihrer
Gunst gegen die anwesenden Ritter nicht zu karg zu sein.
Der Herzog Vincenz selbst, der Bräutigam* Prinz Franz,
sechs Ritter und acht Damen des Hofes, durch Geburt
und Schönheit ausgezeichnet, hatten die Rollen über-
nommen.
Als die vornehmen Zuschauer ihre Plätze eingenom-
men, ertönte, statt des üblichen dreifachen Trompeten-
geschmetters, donnerähnliches Getöse von gedämpften Trom-
meln unter der Bühne. Der Vorhang ward rasch entfernt.
Der Eingang einer weiten und tiefen Höhle, deren Ende kein
Auge zu ergründen vermochte, nahm die Mitte des Schau-
platzes ein. Rings um sie und in ihrem Innern loderten
*) „Im höchsten Grade bewundernswerth erschien die Klage der
Ariadne auf dem Felsen, .nachdem sie von Theseus verlassen worden
war; mit so viel Leidenschaft, auf so rührende Weise wurde sie vor-
getragen, dass kein Zuschauer unbewegt blieb, keine der anwesenden
Damen nicht Thränen des Mitleids vergossen hätte."
(Gleichzeitiger Bericht.)
7
i
— Ö8 ~
Flammen, in der Tiefe gähnte ein furchtbarer Schlund, ans
dem glühende Blasen, von grässlich gestalteten Ungethümen
belebt, aufsprudelten. Ausserhalb der Höhle, von spärli-
chem, traurigem Lichte beschienen, stand Venus, den Amor
an der Hand. Sanfte Instrumente begleiteten ihren Gesang.
Eines Vorhabens willen, das er der Mutter noch nicht ent-
decken kann, will Amor in die Burg des Dis eindringen;
sie billigt seinen Entschluss und er wandelt kühn durch
die Flammen. Venus wendet sich nun zu den Zuschauerin-
nen: „Hört und bewahrt, ihr Frauen, in eurem Herzen des
Göttermundes weise Bede: welche von euch, Feindin Amors,
in ihrem Blüihenalter ihr Herz mit Grausamkeit waflnet,
wird einst, wenn ihr Schönheit und Anmuth mangeln, seineu
Pfeil, seine Flammen um so schmerzlicher fühlen; dann aber
wird sie in zu später Beue die trügerische Hilfe der
Schminke und der Schönheitswasser suchen." Amor kehrt
in Begleitung Pluto's, dessen Gewänder von Gold und Edel- |i
steinen glänzen, zurück. Venus klagt ihm, dass Niemand ^
Amors mehr achte. „Frauen, an Schönheit,, Werth und
stolzen Namen die Würdigsten übertreffend, haben mit
solcher Strenge sich gewaffnet, dass sie Bitten und Thrä-
nen der treuesten Liebenden nicht mehr hören, dass Liebe,
Treue, Beständigkeit keinen Schatten der Gewährung mehr
finden. Des Einen Qual erzählt mit Lachen diese, während
jene ihrer Schönheit sich nur darum erfreut, weil sie Ur-
sache von Seufzern und Schmerzen Anderer ist. Kufe daher
aus der dunklen Höhle jene grausamen, von Hoffnung ent-
blössten, nun vergebens weinenden Frevlerinnen hervor, da-
mit diese stolzen Schönen erkennen, welchen Qualen sie
entgegengehen." Pluto ruft den Geistern der Unterwelt.
Furchtbare, feuerspeiende Larven erscheinen seine Befehle
zu vernehmen; als, durch diese hergebracht, die Unglück-
lichen dann wirklich nahen, vermögen Venus und Amor,
von Mitleid durchdrungen, ihren Anblick nicht zu ertragen.
- öd -
Aus dem grausen Schlünde ziehen die Spröden, von denen
das Spiel den Namen führt, langsam hervor. Lange Ge-
wänder aus reichem, für diese Gelegenheit eigens gewebtem
Stoffe umhüllen ihre Gestalten. Derselbe war aschfarben,
Gold- und Silberfäden aber mit so vieler Kunst durch das Ge-
webe geschlungen, dass die Kleider Asche schienen, mit glim-
menden Funken überstreut : auch waren Flammen von Gold
und Seide in sie und die Mäntel gestickt; Bubinen, Kar-
funkel und andere Edelsteine, glühenden Kohlen gleichend,
halfen die Täuschung vollenden. Ihr Antlitz, ohne jedoch
frühere Schönheit zu verläugnen, war todtenblass und ent-
stellt, das Haar in kunstvoller Verwirrung, mit Asche be-
streut, doch so, dass der frühere Glanz hervorleuchtete;
Granaten und Rubinen, durch dasselbe geflochten, täuschten
auch hier. So kamen sie beim Klange einer trüben, schwer-
müthigen Musik von der obera Bühne herab auf den für
den Tanz bestimmten Halbkreis des Theaters. Bald mit
Gebehrden des Schmerzes und der Verzweiflung, des Mit-
leids und Zorns nahen, fliehen sie sich, umarmen sie sich
mit Zärtlichkeit, um mit Wuth und Abscheu sich wieder
zurückzustossen; die eine entweicht vor der andern, von
ihr mit drohendem Blicke verfolgt; sie scheinen zu hadern
und sich j&u versöhnen und das alles wird mit so viel An-
muth und Mannigfaltigkeit ausgeführt, dass sich den Zu-
schauern die Gefühle mittheilen, welche die Darstellerinnen
zu erregen beabsichtigen. Pluto heisst sie nun innehalten;
in einer Reihe stehen sie ihm gegenüber, er in Mitte
der Bühne. Er wendet sich an die anwesenden Fürsten
und Damen, ihnen eröffnend, weshalb Venus und Amor ihn
veranlasst, dieses Gesicht ihnen vorzuführen; dann schliesst
er: „Wenn Thränen und Bitten euch nichts gelten, möge
Furcht vor ewiger Qual euch bewegen. Welcher blinde
Wahn lässt euch das versagen, was wider euren Willen
endlich die Jahre euch rauben? Sterbliche Schönheit ist
- löo -
keine Frucht, die bis zum Ende bewahrt werden darf."
Nun beginnt der Tanz wieder, aber verzweifelter und lei-
denschaftlicher, bis Pluto's harter Spruch die Unglücklichen
in den Höllenschlund zurückkehren heisst.. Nur Eine bleibt
zurück und während die andern neuen Qualen entgegen-
schleichen, bricht sie in heftiges Schluchzen und Klagen
aus: „Zu hart ist es, zum Jammer djer düstern Höhle zu-
rückkehren zu müssen, zu dem Dampfe, dem Schreien, dem
Heulen, der ewigen Qual. Wohin gehen wir, die einst die
Welt so hoch geachtet? wo ist die Pracht? wo sind die Lie-
benden? Auf immer lebt wohl, heitre, reine Luft, Himmel,
Sonne, leuchtende Sterne! Mitleid lernet, o Frauen und
Mädchen!" Die letzten Worte rufen in vierstimmigem Chor-
gesange, dem einzigen ausser einem kurzen der Höllengei-
ster, die Spröden als Scheidegruss. Die Hölle schliesst sich
hinter ihnen und statt des früheren Grauens liegt vor den
Blicken der Zuschauer jetzt eine weite, anmuthige Land-
schaft. Ob die in diesen grauenvollen Bildern gegebene
Lehre gefruchtet hat, ist heute schwer zu sagen; der Hof
Mantua's wurde jedoch nie wegen übertriebener Sittenstrenge
und Sprödigkeit getadelt. Noch zwanzig Jahre später sahen
Ferdinand IL und seine Gemahlin Eleonora Gonzaga dieses
schauerliche Spiel mit Interesse wiederholt auffuhren.
Fassen wir nun die verschiedenen Bestrebungen auf
dem Gebiete dramatischer Musik übersichtlich zusammen,
so werden wir drei Stufen zu unterscheiden vermögen, auf
denen sich dieselbe allmählig zu grösserer Vollkommenheit
emporhob. Die ersten Versuche fallen in die Zeit, da das
Madrigal ausschliessliche Herrschaft behauptete. Hieher ge-
hören voraussichtlich die auf p. 41 u. s. f. angeführten Stücke
von Beverini, Cornetto u. s.w.; ferner Polizian's „Or-
feo", Tasso's „Aminta", Guarini's „Pastor fido", sowie die
Festspiele des Florentiner Hofes p. 48 und der „F Anfi-
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parnasso" von Vecchi p. 54. Einen 'Fortschritt In 'der
Gattung bezeichnen diejenigen musikalischen Schauspiele,
in denen bereits einzelne Scenen von Solostimmen ausge-
führt werden, wie in dem Mailänder Festspiele p. 37, in
dem Schäferspiele: „il sacrifizio u p. 42, im „Pamico fido u
des Gr. Bardi p. 50, in den Schäferspielen Cavalieri's
p. 53 und in dessen Oratorium: „delT anima e del corpo"
p. 84. Im Stilo rappresentativo gehalten sind dann die
Dramen: „Dafne", „Euridice", „Orfeo", „Arianna" und „il
ballo delle ingrate u . Monteverde's Versuche, des Recita-
tiv der Cantilene zu nähern, wurden von seinem Schüler
Girolamo Giacobbi („Andromeda" 1610) fortgesetzt, doch
entwickelte sich die dramatisch-musikalische Kunstform nur
sehr allmahlig. Mögen auch viele der uns verloren gegan-
genen Werke . der nun folgenden Zeit (und es waren deren
nicht wenige, denn in Venedig allein kamen zwischen 1637
— 1700: 357 Opern von 40 verschiedenen Tonsetzern, in
Bologna zwischen 1641—1700: 70 Opern von 30 Autoren
zur Aufführung; andere Städte werden nicht zurückgeblieben
sein; seit 1640 nahm der Bau prachtvoller Theater sehr
überhand) bedeutende Fortschritte und grosse Schönheiten
aufzuweisen gehabt haben, der melodische Theil des Ge-
sanges, die Cantüene, nahm feste Gestaltung erst an, seit
Giacomo Carissimi (geb. um 1582 zu Padua, Kapell-
meister an der Apollinarikirche in Rom, t um 1672) und
seine Schüler Cesti, Buononcini und Bassani, beson-
ders aber der berühmte Alessandro Scarlatti (geboren
1659 in Trapani, Oberkapellmeister in Neapel, f 1725), der
Lehrer Durante's, Logroscino's und Hasse's, ihre mit
Recht bewunderten Cantaten und Kammerduette schrieben;
nachdem durch sie die Form der Arie*) erfunden und fest-
*) Die Entwicklung der aus dem Einzelngesange hervorgegangenen
Arienform hat folgende Stufen durchlaufen: Recitativ (Caccini u. Peri),
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gestellt und mit der dramatischen zugleich die oratorische
Musik (Vazione Sacra) in die Zeit ihrer Blüthe eingetreten
war. Von Interesse ist der Umstand, dass die Sujets der
■
ersten Opern („Orfeo,", „Arianna" u. s. w.) mit besonderer
Vorliebe noch für Jahrhunderte hinaus von Dichtern und
Tonsetzern festgehalten und unzählige Male aufs Neue poe-
tisch und musikalisch behandelt wurden.
Von Italien aus verbreitete sich der Geschmack an
derartigen Festspielen über ganz Europa und noch zwei
Jahrhunderte später sehen wir in monströsen, gar oft mit
geschmackldser Pracht aufgeputzten Opernspielen die Geld-
quellen der Höfe sich erschöpfen. Dafür war aber auch
die Oper mit wenigen Ausnahmen das ausschliessliche Ver-
gnügen und Privilegium des hohen Adels. Nicht an einem
bedeutenden, gemeinsam in jedes einzelne Leben tief ver-
flochtenen Interesse bildete sich das neue Schauspiel heran,
sondern aus der Mitte der Prunksucht und Schwelgerei
eines an Bildung zwar hervorragenden, aber sittlich ver-
derbten Hofes ging es hervor, eines Hofes, der kaum unter
denen der Fürsten seiner Zeit eine Stellung eingenommen
hatte und nur durch äussern Glanz dieser werth zu werden
strebte; es dankt Spielen seinen Ursprung, die in Ruhepunkten
der Darstellung eines Dichterwerks durch Pracht und Sin-
nenlust die Zuschauer ergötzen sollten; es schmückte in
seinem Beginne Vermählungsfeierlichkeiten neu erhobener,
der Schmeichelei um so eher zugänglicher, ja sie erwarten-
Recitativo secco (vollendet durch Carissimi), Kecitativo oblir
gato (in der „Armida" v. Lully 1686); Arioso, Canzonette; Arie
variate (Arie mit Variationen; „Erminia sul Giordano", v. M. A. Rossi,
Schüler Frescobaldfs, 1625, [gedr. 1627] — dasselbe Werk enthalt schon
Duette u. Terzette, sowie eine Ouvertüre — „Santo Alessio" Oratorium
v. Landi, 1634); Arie a da Capo, Gavatina (zweitheilige Arie. Luigi
Rossi, um 1620 — A. Scarlatti); Scena (Arie aus Andante u. Allegro
bestehend. Jomelli); Rondo serio („Orfeo" von Gluck, 1762).
- 10SI -
der Herrscher. Das, was Männer von Kenntniss, Begabung
und Begeisterung ursprünglich erstrebt und erträumt hatten,
war unter solchen Umständen nicht zu erreichen, daher denn
auch in Italien die Oper nie ein Ganzes werden konnte, das
den Namen^ eines wirklichen Kunstwerkes verdient hätte, so
Treffliches im Einzelnen auch von geistreichen und talent-
vollen Tonsetzern auf diesem Gebiete geleistet wurde. Der
ausserordentliche Beifall, mit dem die Erstlinge des musi-
kalischen Drama's aufgenommen wurden, war ferner Ver-
anlassung, dass zum Nachtheile der eigentlichen' dramati-
schen Dichtung — denn in der Oper war die Poesie doch
nur die untergeordnete Dienerin der Musik -^ viele der
fähigsten Köpfe sich fortan der Textdichtung zuwanden.
Anders wie in Deutschland — wo die besten Dichter, besonders
seit Lessing seine Abneigung dagegen so entschieden aus-
gesprochen hätte, das musikalische Drama stets mit Sorge
und Misstrauen betrachtet, mit Geringschätzung leider bis
zum heutigen Tage behandelt haben, so dass ausser frühen
Arbeiten von Goethe, die trotzdem nicht zu den gelungen-
sten ihrer Gattung zählen, sich nur sehr wenige wahrhaft
poetische und brauchbare deutsche Operndichtungen vor-
finden - sehen wir in Italien stets die hervorragendsten
Namen der Literatur auf diesem Gebiete beschäftigt. An
Rinuccini reihen sich noch im 17. Jahrhundert Gabriello
Chiabrera und Benedetto Paolo Ferrari, während wir
im 18. Jahrhundert den, Namen: Fulvio Testi, Fj'anc.
Melosio, Paolo Rolli, Apostolo Zeno und Pietro
Metastasio begegnen. Beide letzteren leisteten bekanntlich
gerade in diesem Genre wahrhaft Vorzügliches, ihre unzäh-
lige Male immer wieder komponirten Libretti's zählen sogar
zu den klassischen -Poesien Italiens.*) Damit will jedoch
w
*) Pietro Metastasio (Trapassi, aus Rom, 1698—1782), der
bedeutendste unter den italienischen Operndichtern, ein durch und durch
- 104 -
nicht gesagt sein, dass nicht auch unter den italienischen
Operndichtungen elendes und sinnloses Zeug in Masse sich
findet.
Die den Opern anhaftenden Missstände und Unnatur-
lichkeiten konnten erst gehoben werden, als sie aufhörten,
Prunkstücke zu sein, als sie aus dem Besitz der Höfe in
den des allgemeinen Publikums übergingen, als sie nach
iteferem Inhalt zu streben begannen und statt glänzender
Aeusserlichkeiten sich die Schilderungen seelischer Zustände,
der Empfindungen und Leidenschaften, die in wechselyollem,
unaufhörlichem Wogen die Menschenbrust durchziehen, den
Geist beschäftigen und das Gemüth bewegen, zur Aufgabe
machten. Es bedurfte der starken Hand und eisernen Ener-
gie eines Gluck, um das in Ausartung, Sinn- und Sitten-
losigkeit versunkene, leere und oberflächliche Opernwesen
wieder in neue Bahnen zu lenken, es höheren, idealeren,
wahrhaft künstlerischen Zielen zuzuführen, es überhaupt den
Italienern, die wie ein Monopol das ganze Gebiet beherrsch-
ten, aus den Händen zu winden. Es war kein Geringes,
was da der grosse deutsche Meister unternahm und voll-
führte. Der süsse, bestrickende Melodienzauber, der aus den
musikalischer Poet, der dem melodischen Schmelz des italienischen Idioms
zum höchsten Triumphe verhalf, verdunkelte* alle seine Vorgänger. Sein
ausschliessliches Streben ging dahin, die unvergleichlich anmuthige Sprache ,
in schmelzend weicher Form dem musikalischen Bedürfniss in innigster
Weise dienstbar zu machen. Allerdings lässt sich auch bei seinen Dich- j
tungen, denen man nicht mit Unrecht Verbrauchtheit der Situationen ,i
und Charaktere und Unwahrscheinlichkeit der Handlungen zum Vorwurf
macht, rügen: glänzende Oberflächlichkeit ohne Tiefe, prosaische Gesin-
nungen und Gedanken, eine nur äusserliche Beobachtung der Schicklich- ■
keit und Sittlichkeit, denn die Wollust wird in diesen Schauspielen nur
eingeathmet, nicht genannt, es ist in ihnen immer nur vom Herzen die
Bede. Unter den spätem Librettodichtern sind zu nennen : Giambattista /
Casti, L. da Ponte, S. Camerano, A. Filistri; Caj. Bossi, f
F. Bomani.
— 105 —
Schulen Venedigs und Neapels über die ganze Welt hinflutete,
hatte die Freunde der Kunst wie mit unlösbaren Banden be-
strickt, der vollendete Vortrag italienischer Gesangskünst-
ler, die wieder nur italienische Musik singen wollten, hielt
die Kunstenthusiasten wie in einem Zauberbanne gefangen.
Dennoch gelang das kühne Wagniss und das Beispiel Gluck's
war fast für ein Jahrhundert von nachhaltiger, segensreicher
Wirkung. Tiefer Inhalt der Poesie und Musik, ernste Ein-
fachheit und ergreifende dramatische Charakteristik, gehalt-
volle, edle Melodie, reiche, nicht überladene Harmonie, Klar-
heit und Verständlichkeit bei natürlichem anmuthigem Fluss
der Gedanken, kunstvolle Technik und fesselnde Innerlich-
keit und ein Instrumental -Accompagnement, das bei aller
Kunst der Stimmführung und thematischen Arbeit, unge-
achtet der reizvollsten und reichsten Orchestrirung doch
dem Gesänge unbestrittene Herrschaft und volle Gewalt liess,
das sind die Merkmale, welche die hervorragenden Werke
auf dem Gebiete der Oper, die Schöpfungen Mozart's, Beet-
hoven's, Weber's, Spohr's u. s. w. kennzeichnen. Es ist
unbestrittene Thatsache, dass eine Kunst ausartet und sinkt,
wenn sie gegen die ewigen Gesetze der Schönheit sündiget,
wenn rohe Aeusserlichkeiten, lüsterner Kitzel und das Ha-
schen nach plump-sinnlichen Effekten an Stelle tieferen Ge-
haltes und idealer Kunstschönheit treten. Die grosse Menge,
nur geblendet von Effekt und ewig dürstend nach neuen
Reizungen, hat in Sachen der Kunst ebensowenig ein Ur-
theil, wie der oberflächliche, oft blasirte Kunstenthusiast.
Nur dem momentanen Erfolge huldigend; werden beide sich
stets vor dem jüngstgebornen goldnen Kalbe in den Staub
werfen. Aus dem gleichen Gefässe aber, aus dem wir hei-
lenden Trank und süsse Labung schlürfen, kann uns sinn-
verwirrendes Gift geboten werden. Wiederum sehen wir
die Oper an einen Abgrund von Aeusserlichkeiten, Schwulst
und Effekten einerseits und oberflächlichen, leeren, gedanken-
- 106 —
losen Klingklang andererseits gedrängt. Hoffen wir, 'd&ss
der Tonkunst bald ein neuer schöpferischer Geist in einem
gottbegnadeten Manne erstehen möge, in dem die eiserne
Willenskraft Gluck's, der edle Geschmack und das Streben
nach Idealität und Einfachheit Mozart's und die feurige
Begeisterung und der hinreissende Gedankenflug Beethoven's
in Eins verschmolzen sind. Dieser Mann sei uns der mu-
sikalische Held der Zukunft!
Anhang.
p. 1 6. Als besonders wichtige Quelle für vorliegende Arbeit, die
jedoch leider keine musikalischen Beispiele enthält, muss hier noch der
treffliche Aufsatz: „Die Entstehung der Oper", in dem Sammelwerke:
Zur Tonkunst. Abhandlungen von Ernst Otto Lindner. Berlin
1864, aufgeführt werden.
p. 27. Sehr lesenswerthe Auszüge aus der Vorrede zu Caccini's
„le nuove musiche". Firenze appr. G. Marescotti 1601, bei Winterfeld
IL p. 13 und Kiesewetter p. 61. Wir lernen aus denselben in Caccini
einen der fähigsten, bedeutendsten und denkendsten Gesanglehrer, einen
der hervorragendsten und begeistertsten Meister der Gesangskunst kennen
und schätzen. Dieses Vorwort hat schon deswegen ungewöhnlichen Werth
und grosses Interesse, weil sein Verfasser, einer der frühesten Lehrer
seiner Kunst und ein Vorläufer zahlreicher Sängermeister, hier zuerst
die Grundsätze des Kunstgesanges in anschaulicher Weise aufstellt und
entwickelt.
p. 37. Ueber anderwärts gegebene ähnliche Festspiele siehe:
Schletterer: „Das deutsche Singspiel" p. 180 u. s. f., p. 266 u. s. f.
p. 6 1. Interessant ist es, wie Goethe in seinem „Tasso", von diesem
Inhalt und Idee des „Aminta", von der Prinzessin, die in der Herrschaft
der Sitte und Treue, welche im „Pastor fido" so hoch gefeiert werden,
das einzige Glück der Frau erkennt, die Anschauung Guarini's ver-
treten lässt:
Tasso: Die gold'ne Zeit, wohin ist sie gefloh'n?
Nach der sich jedes Herz vergebens sehnt!
Da auf der freien Erde Menschen sich
Wie frohe Heerden im Genusg verbreiteten;
- 108 —
Da ein uralter Baum auf bunter Wiese
Dem Hirten und der Hirtin Schatten gab,
Ein jüngeres Gebüsch die zarten Zweige
Um sehnsuchtsvolle Liebe traulich schlang;
Wo klar und still auf immer reinem Sande
Der weiche Fuss die Nymphe sanft umfing;
Wo in dem Grase die gescheuchte Schlange
Unschädlich sich verlor, der kühne Faun,
Vom tapfern Jüngling bald bestraft, entfloh,
Wo jeder Vogel in der freien Luft
Und jedes Thier, durch Berg' und Thäler schweifend,
Zum Menschen sprach: Erlaubt ist, was gefällt.
Prinzessin: Mein Freund, die gold'ne Zeit ist wohl vorbei:
Allein die Guten bringen sie zurück;
Und soll ich dir gestehen, wie ich denke:
Die gold'ne Zeit, womit der Dichter uns
Zu schmeicheln pflegt, die schöne Zeit, sie war,
So scheint es mir, so wenig, als sie ist;
Und war sie je, so war sie nur gewiss,
Wie sie uns immer wieder werden kann.
Noch treffen sich verwandte Herzen an
Und theilen den Genuss der schönen Welt;
Nur in dem Wahlspruch ändert sich, mein Freund,
Ein einzig Wort: Erlaubt ist, was sich ziemt.
(2. Aufzug. 1. Auftritt.)
Die dramatische Einkleidung des Idylls hat in Italien auch in der
Folge noch vielen Beifall gefunden. Während der letzten Jahrzehnte des
16. Jahrhunderts entstanden noch über 30 Schäferspiele. Nächst Gua-
rini's „Pastor fido" waren Guidobaldo Bonarotti's „Filii di Sciro"
(Ferrara 1607) die glücklichste Nachahmung des „Aminta". Die schöne
und tugendhafte Schauspielerin Isabella Andreini v. Padua dichtete
ein Schäferspiel „Myrtill", der Jude Leo ein tragisches Schäferspiel
„Drusilla" ; auch Herzog Ferrante H. v. Guastalla aus dem Hause Gonzaga
wird als Verfasser eines ähnlichen Stückes gerühmt. Fischeridyllen, die
man längst hatte, verwandelte man in Fischerdramen, indem man die Fabel
etwas erweiterte und nach dem Muster der Schäferspiele Fischerscenen
bildete. Des Paduaners A. Ongaro „Alceo", genau nach dem„Aminta"
copirt, ward desswegen spöttisch: „der gebadete Aminta" genannt.
p. 68. Die Vermählung der überaus schönen und anmuthigen
Bianca Capello, einst mit einem Florentiner geringen Herkommens
- 109 -
aus Venedig entwichen, dann nach einer Reihe romanhafter Ereignisse
vom Senate ihrer Vaterstadt als Tochter der Republik erklärt, ward
1579 mit ungewöhnlicher Pracht, in der Gäste und Einheimische wett-
eiferten, gefeiert. Sinnreiche Erfindungen mancherlei Art bezeichneten
die Spiele, bei denen auch die Musik eine ausgezeichnete Stelle ein-
nahm. Venetianer und Florentiner von hoher Geburt und grossem Rufe
in der Kunst traten bei dieser Gelegenheit miteinander in die Schranken;
so die Venediger Maffio Venier und Claudio Merulo gegen die
Florentiner Pier Strozzi und A. Striggio." Vier berühmte Meister
der Lagunenstadt (Cl. Merulo, Andr. Gabrieli, Organisten an den
beiden Orgeln der Markuskirche, V. BelTaver, des letztern Gehilfe,
und B. Donato, nachmals Nachfolger Zarlino's im Amte des Sänger-
meisters) und zwei andere fremde hochangesehene Künstler (Or. Vecchi
aus Modena und Tib. Massaini aus Cremona, letzterer um diese Zeit
Kapellmeister an der Kirche S. Maria del Popolo zu Rom, später in K.
Rudolph's II. Diensten) hatten gemeinschaftlich eine für diese Gelegen-
heit gedichtete, an den Namen Bianca mit zartem Wortspiele anknüpfende
Sestina durch ihre Töne zu schmücken, je einer eine Stanze, der letzte
auch die sogenannte Chiusa, die das Ganze nochmals zusammenfassenden
Schlusszeilen. In dieser Komposition bethätigte sich jedoch noch kein
Fortschritt; die Tonsetzer gaben nur in herkömmlicher Manier sieben
wacker gearbeitete kontrapunktische Sätze ohne Innern Zusammenhang
oder wesentliche Beziehung zu einander.
p. 80. Le Musiche di Jacopo Peri, nobil Fiorentino, sopra l*Eu-
ridice del Signor Ottavio Rinuccini, rappresentate nello sposaüzio della
Cristianissima Maria Medici, Regina di Francia e di Navarra. Firenze
appr. di G. Marescotti. 1600.
Die sehr interessante Vorrede Peri 's zur „Euridice" mag hier
schliesslich noch eine Stelle finden. Voraus gehen ihr in der Florentiner
Partiturausgabe die Widmungen des Dichters (4. Oktober 1600) und Ton-
setzers (6. Februar 1600) an die allerchristlichste Königin Maria Medici.
Letzterer gedenkt darin sehr bescheiden seiner nuove musiche, preisst
dagegen mit begeisterten Worten die Würde und Anmuth der Poesie, in
der Rinuccini den gerühmten Alten gleichkomme.
„Bevor ich Euch (günstige Leser) diese meine neue Musik dar-
reiche, erachte ich es für schicklich, davon Kenntniss zu geben, was
mich veranlasste, diese neue Gesangsweise aufzufinden, denn jedwede
menschliche Thätigkeit soll einen vernünftigen Grund, Ursprung und
Quell haben. Wer solchen nicht anzugeben weiss, laset glauben, dass
er blindlings zu Werke gegangen ist. Obgleich meines Wissens Sign. E.
- 110 - "j
.!
del Cavaliere früher als ein anderer neue Werke der Kunst von einer
bewundernswerthen Erfindung auf der Scene hören Hess, gefiel es dennoch
den Herren Corsi und Rinuccini (gegen Ende des Jahres 1594), dass ich,
von andern Anschauungen geleitet, die von letzterem vexfasste Fabel der
Dafne in Musik setzen sollte, um eine einfache Probe davon zu geben,
was der Gesang unserer Zeit zu leisten, vermöge. Nachdem ich nun er-
kannt, dass es sich um eine dramatische Poesie handelte, in der die
Rede durch Gesang nachzuahmen war (und zweifellos hat man nie sin-
gend geredet), gelangte ich zu der Ueberzeugung, dass Griechen und
Römer (die nach der Meinung Vieler ihre Tragödien auf der Bühne
durchaus sangen) sich einer Betonung bedient, um so viel hinausgehend
über die des gewöhnlichen Sprechens, als heruntergehend unter melodi-
sches Singen, also ein Mittleres darstellend. Dies der Grund, weshalb
in dieser Dichtung der Jambus angewendet wurde, der nicht gleich dem
Hexameter sich hebt, aber doch über die Grenzen gewöhnlicher Bede
hinausgeht. Ich Hess nun jede seither gebräuchliche Gesangsart bei Seite,
gab mich ganz der Erforschung der Nachahmung hin, die solchen Poesien
gebührt und zog in Betracht, dass diejenige Betonung, welche die Alten
dem Gesänge gaben und die sie „diästematisch" (gezogen oder gehalten)
nannten, zum Theil beschleunigt werden oder eine gemässigtere Bewegung
nehmen könne, wechselnd zwischen den gehaltenen und langsamen Fort-
schritten des Gesanges und den behenden und raschen des Bedens, und
dass sie sich meinem Zwecke anpassen könne (wie ja auch die Alten
sie anpassten, wenn sie heroische Verse lasen), indem sie sich jener Be-
tonung der Bedeweise näherte, die sie die „fortgehende" nannten: was
Moderne (wenn auch zu anderm Zwecke) in ihren Musikstücken ja auch
bereits angewendet haben. Auch erkannte ich, dass in unserer Sprech-
weise einzelne Worte so betont werden, dass sich darauf eine Harmonie
gründen lässt und dass man im Flusse der Rede über viele Worte wieder
hinweggeht, die ohne Betonung sind, bis man wieder zu einem Worte
kommt, das einen hervortretenden Klang zulässt. Ich belauschte nun
Weisen und .Accente, deren man sich im Schmerz, in der Freude und
andern Gemüthszuständen bedient, Hess den Bass sich ihnen gemäss bald
mehr, bald minder, je nach den Affekten folgen oder hielt ihn fest, bis
die Stimme, über verschiedene Noten gleitend, wieder dahin kam, wo
-ein Wort herauszuheben, also zu einem neuen Zusammenklang Veran-
lassung gegeben war. Und dies nicht allein, damit der Bede Lauf das
Ohr nicht verletze — gleichsam strauchelnd im Begegnen der angeschla-
genen Saiten, der zu gehäuften Consonanzen — oder zur Bewegung des
Süsses sozusagen zu tanzen scheine — zumal bei traurigen und ernsten
Stellen, während fröhlichere naturgemäss lebjbafteren Flu» erfordern — ,
— 111 -
sondern auch damit der Gebrauch der durchgehenden Intervalle jenen
eingebildeten Vorzug mindere oder verderbe , der sich an die Nothwen- *
digkeit knüpft, jede Note zu betonen, was zu thun die antiken Tonstücke
vielleicht weniger nöthig hatten. Und daher (wenn ich auch nicht ver-
sichern darf, dass der bei den Stücken der Alten angewandte Gesang
ganz so gewesen) vermuthete ich, dass der Gesang, der sich genau der
Sprache anfügt, der allein richtige sein dürfte. Nachdem ich nun jenen
Herren meine Ansicht vorgetragen, setzte ich ihnen die neue Singart
auseinander und sie gefiel ungemein, nicht nur dem Sign.. Corsi, der
selbst schon sehr schöne Gesänge für die „Dafne" gesetzt hatte, sondern
auch den Herren Pietro Strozzi, Francesco Cini und andern einsichts-
vollen Edelleuten (denn unter dem Adel blüht gegenwärtig die Tonkunst),
wie auch jener berühmten Sängerin, welche die Euterpe unserer Zeit
genannt werden kann, der Signora Vittoria Archilei, die meine Tonstftcke
stets ihres Gesanges für würdig erachtete, indem sie dieselben nicht nur
mit jenen Trillern und einfachen und doppelten Verzierungen schmückte,
die ihr lebhafter Geist jeden Augenblick zu erfinden weiss — mehr um
dem Geschmacke unserer Zeit zu schmeicheln, als in dem Glauben, dass
in ihnen Schönheit und Werth des Gesanges besteht — , sondern auch
mit jenen anmuthigen, unnachahmlichen Fiorituren, die man nicht nieder-
schreiben kann und die, sind sie notirt, aus der Schrift nicht gelernt
werden können. Es hörte und empfahl sie der in allen Theilen der
Tonkunst ausgezeichnete Mr. G. Jacomelli, der seinen Beinamen gewisser-
massen mit der Violine, auf der er bewundernswürdig ist, vertauscht hat.
Während dreier aufeinanderfolgender Jahre, in denen sie hier im Kar-
neval auftrat, wurde sie mit höchstem Vergnügen gehört und von allen
Anwesenden mit Beifall überschüttet. — Aber grösseres Glück hatte ge-
genwärtige Euridice, nicht weil die genannten Herren und andere tüch-
tige Männer und überdies Conte Alfonso Fontanella und Sign. 0. Vecchi,
vorzügliche Zeugen meines Gedankens, sie gehört, sondern weil sie vor
einer so grossen Königin und so vielen berühmten Fürsten Italiens und
Frankreichs aufgeführt und von den ausgezeichnetsten Musikern unserer
Zeit gesungen wurde. Obgleich ich das Werk ganz in vorliegender Ge-
stalt niedergeschrieben hatte, setzte doch G. Caccini, dessen hoher Werth
aller Welt bekannt ist, die Gesänge der Euridice, einige des Hirten und
der Nymphe aus dem Chore und die Chöre „AI Canto, al Ballo", „Sospi-
rate" und „Poiche gli eterni Lnperi" und das, weil dieselben von Per-
sonen, die von ihm abhingen, gesungen werden sollten.
Diese Gesänge findet man in der von ihm komponirten und ge-
druckten Oper, während diese meinige vor der allerchristlichsten Königin
aufgeführt wurde. Nehmt dieselbe daher gütig auf, freundliche Leser,
- .12 - ;
und obgleich ich mit dieser neuen Art nicht bis dahin kam, wohin es *j
mir möglich schien zu gelangen (da die Rücksicht auf die Neuheit, meiner i
Erfindung Zügel anlegte), lasst sie Euch gefallen; vielleicht werde ich '
bei anderer Gelegenheit Vollendeteres hervorbringen können, doch glaube
ich vorlaufig genug gethan zu haben, da ich Andern den Weg erschloss,
um auf meiner Spur zu dem ruhmvollen Ziele vorzudringen, das zu er-
reichen mir versagt blieb. Ich hoffe, dass der Gebrauch der durch-
gehenden Noten, wenn sie ohne Zagen discret und rechtzeitig gespielt
und gesungen werden (da sie so vielen und so hervorragenden Mannern
gefielen), Euch nicht unangenehm sein wird, besonders in den mehr
traurigen und ernsten Gesängen des „Orfeo", des „Arcetro" und der
„Dafne", welch" letztere bei uns mit so vieler Anmuth dargestellt wurde.
E vivete felici!"
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